Spielstätte:"Einfach mal wer anders sein"

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Drei Mitglieder der Gruppe "Kiwis" proben "Alice D.". Die 200. Produktion des Theaterspielhauses ist inspiriert von "Alice im Wunderland". (Foto: Catherina Hess)

Seit 20 Jahren bietet Eva Marie Koblin in ihrem Theaterspielhaus Kindern eine Bühne für selbst entwickelte Stücke

Von Barbara Hordych, München

Die Verkäuferin in der Möbelabteilung ist nicht zimperlich in der Wahl ihrer Mittel. "Ihre Tasche wartet draußen auf Sie", erklärt sie energisch einer Kundin, deren Handtasche sie gerade vor die Tür gesetzt hat. Die Kundin hatte sich unbeliebt gemacht, weil sie den Ausstellungsstücken - einem Sessel, einem Drehtisch, einem Sekretär - nicht genügend Respekt entgegenbrachte. "Einen Meter Abstand!", schreit die Verkäuferin leicht hysterisch, als kurz darauf der Hund einer anderen Kundin auf den Sessel springt und ein Bein hebt, um sich zu erleichtern. Eine Szene, die das Publikum im Theaterspielhaus mit vergnügtem Kreischen und wildem Applaus quittiert. Zugegeben, die Zuschauer sind gnadenlos parteiisch. Sind es doch die Eltern und Freunde der neun-bis zwölfjährigen "Bambelbis", die am Samstagnachmittag das selbst ausgedachte Stück mit dem Titel "Verbrecherarcaden: Ein Kaufhaus versinkt im Chaos" verfolgen.

"Bei uns ist der Weg das Abenteuer, die gemeinschaftliche Entwicklung von Szenen und Stücken, das Erleben des Teams; die Aufführung zum Schluss, die verhält sich dazu wie der Besuch der Wirtschaft am Ende eines Ausflugs", erklärt Leiterin Eva Marie Koblin das Konzept ihres Hauses. Mit dessen Gründung vor 20 Jahren hat sich die Waldorflehrerin und Theaterpädagogin einen Traum erfüllt. Davon erzählt sie im Keller ihres Domizils, in dem die Garderobe mit den Kostümen untergebracht ist. Koblin, kürzlich 65 Jahre alt geworden, lässt sich in einen cremefarbenen Plüschsessel fallen. "Natürlich lieben es die Kinder, in den Schränken und Regalen zu stöbern und sich zu verkleiden", sagt sie und weist mit einer ausladenden Geste auf die Fülle von Kleidern, Jacken, Hosen und Schuhe ringsum. Sie will junge Menschen bei ihrem Selbstwerdungsprozess unterstützen, indem sie ihnen ermöglicht, eine Rolle wählen und spielen zu dürfen, gemäß der Devise: "Wir wollen einfach mal wer anders sein". Stolz ist sie auf die "schöne soziale Vermischung" der Jungakteure. 38 Herkunftsländer habe sie jüngst gezählt, da sie selbst überrascht gewesen.

Der Beitrag von 60 Euro im Monat, den die Mitglieder von derzeit 17 im Haus beheimateten Gruppen zahlen, ist im Vergleich mit anderen Angeboten relativ niedrig. Seit 2001 wird das Haus, in dem neun Dozenten, Schauspieler und Sozialpädagogen beschäftigt sind, von der Landeshauptstadt unterstützt. Für Flüchtlinge läuft derzeit ein Projekt, das vom Kulturreferat finanziert wird. "Bei mir erhalten alle ihren Platz; es wird niemand abgelehnt, weil er langsamer ist, nuschelt, stottert oder schwerfälliger ist als andere", erklärt Koblin ihre Idee. Bewusst stelle sie die Aufführungen deswegen nicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit. "Sonst geht das ganz schnell, dass jemand von den anderen in einer kleineren Rolle versteckt wird, damit er den großen Auftritt nicht stört."

Viele "ihrer" Kinder bleiben über Jahre hinweg Mitglied. So wirkt in der 200. Eigenproduktion "Alice D.", einem Stück der 14- bis 18-jährigen "Kiwis", das zum 20-jährigen Bestehen aufgeführt wird (29. und 30. Januar, jeweils 19.30 Uhr, Rottmannstraße 7a), ein Junge mit, der bereits im Fotoband zum zehnjährigen Bestehen abgebildet ist. Und dann sind da noch diejenigen, die im Theaterspielhaus ihr Talent für die Schauspielerei entdeckten: Lola Dockhorn beispielsweise, die als Siebenjährige bei Eva Marie Koblin begann, spielte als Sechzehnjährige bereits eine Hauptrolle in dem Spielfilm "Einer wie Bruno". Auch Moritz Kienemann, der gerade nicht weit entfernt im Volkstheater in "Die Odyssee" Premiere hatte, begann im Theaterspielhaus. Dort schauen beide auch heute noch gerne vorbei.

© SZ vom 29.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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