Skateboardszene in München:Auf dem Sprung

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Mit seinen 32 Jahren gehört Kristijan Mirkovic zu den Älteren in der Münchner Szene. Seine Tricks erregen bei den Jungen trotzdem noch Aufsehen. (Foto: Stephan Rumpf)

Weg von der Subkultur, hin zum Mainstream: Die Skateboardszene in München ist älter, spießiger und kommerzieller geworden. Nun finden in München die X-Games statt, die sich selbst als "Olympische Spiele des Extremsports" verstehen - und viele Skateboarder erhoffen sich Auftrieb.

Von Julian Ignatowitsch

Wenn Kristijan Mirkovic in der Halfpipe seine Bahnen rollt, staunt so mancher der jüngeren Skateboarder. Seine Sprünge über den Rand der Schanze werden von einem kleinen, braunhaarigen Jungen, der nicht viel größer ist als das Brett in seiner Hand, mit einem ungläubigen "Boah" kommentiert.

Mirkovic gehört mit seinen 32 Jahren zu den Älteren im Skatepark am Feierwerk in München. Das fällt aber kaum auf. Optisch wirkt er mit seiner Rockabilly-Mütze, dem verwaschenen Shirt und dem Tattoo, das unter seinem Shirt hervorschaut, wesentlich jünger - und passt wunderbar in das bunte Treiben zwischen knalligen Caps, Rastalocken, und Zausel-Bärten. Seit mehr als 15 Jahren kennt er die Münchner Skateboard-Szene. "Mittlerweile fahre ich aber gar nicht mehr so gut", gibt er sich bescheiden: "Das Alter, die Knochen, Skateboard verschleißt deinen Körper ganz schön."

Mit ihm scheint auch die Skateboard-Kultur in München älter geworden zu sein: Weg vom Anarchischen, hin zu organisierten Strukturen. Weg von der Straße, hin zu Parks und Jugendzentren. Und auch tendenziell weg vom Untergrund, und hin zur Marke. Dass das Actionsport-Festival X-Games Ende Juni nun nach München kommt, ist die logische Folge dieser Entwicklung. Mirkovic sagt dazu: "Einerseits ist das eine gute Sache, die Akzeptanz und das Verständnis für den Sport steigen, und die Lage für uns Skateboarder verbessert sich. Andererseits geht ein Stück der Alternativszene verloren, das Geld und der Leistungsgedanke spielen eine immer größere Rolle."

Eine ambivalente Sache also. Dennoch ist sich der Agent für Textilproduktion sicher, dass die hiesigen Skateboarder letztlich profitieren: Weil durch die X-Games deutlich werde, dass Actionsport beliebt ist; weil das Interesse in der Öffentlichkeit steige; weil die Stadt merke, dass sie weiterhin Platz schaffen müsse für eine wachsende Zahl an Skatern. Und der Kommerz? Die Eventisierung? "Das geht wohl nicht anders", sagt Mirkovic. Damit hat er sich weitestgehend abgefunden.

Er hat den Wandel der Szene miterlebt. Früh fing er an, Skateboard zu fahren, auf der Straße, an verbotenen Orten, mit den unterschiedlichsten Leuten - "vom Junkie bis zum Kriminellen". Manchmal bekam er Probleme mit der Polizei. Später dann hat er mit Freunden zehn Jahre lang selbst sein Geld im Skate-Business verdient, sie verkauften T-Shirts, Kapuzenpullis und Boards, haben aber immer auch den Szenegedanken verteidigt. "Irgendwann kamen wir an einen Punkt, wo es mit dem Geschäft zu viel wurde. Noch ein Eingeständnis mehr, noch ein Grundsatz weniger - da haben wir einfach aufgehört." Aber nicht mit dem Skateboarden. Insofern hat sich Mirkovic am Ende für den Sport und gegen den Kommerz entschieden.

Aber auch gegen den Untergrund. Er engagiert sich jetzt beim Verein Skateboarding München. "Dass es die Vereinsmeierei gebraucht hat, um von der Stadt ernst genommen zu werden, ist die Ironie der Geschichte", sagt Mirkovic. "Aber es funktioniert. Man hört uns zu und reagiert auf unsere Wünsche." Die Skater-Szene kann bei der Planung von Projekten mitreden. Mittlerweile gibt es mehr als 30 topausgestattete Skateparks in München und Umgebung, bei vielen davon, wie dem Skateplatzl am Feierwerk und dem Bowl am Hirschgarten, ist der Beton noch relativ frisch.

Skater Kristijan Mirkovic im Feierwerk. (Foto: Stephan Rumpf)

Auch wenn der Bowl aufgrund seiner steilen Passagen derzeit nur von den besten zwei Prozent der Skater in der Stadt gefahren werden könne, sei er eine sinnvolle Investition, sagt Mirkovic: "Die Jungen wachsen damit auf. Sie lernen, diesen anspruchsvollen Kurs zu fahren, so steigt das Niveau." Insofern ist die Situation für Skateboarder in der Landeshauptstadt gut, wäre da nicht ein großes Aber: die eigene Halle. Diese fehlt weiterhin - und ist das Projekt für die Zukunft. "Um den nächsten Schritt zu gehen, brauchen wir diese Halle", sagt Nick Fischer, ein Kollege von Mirkovic. "Es kann ja nicht sein, dass im Winter und bei schlechtem Wetter keine Möglichkeit zum Skateboardfahren gegeben ist." Fischer ist optimistisch, dass die Halle in den nächsten Jahren realisiert werden kann.

Dem Sport käme das zugute, und darum geht es der Münchner Gemeinschaft in erster Linie. Skateboard müsse als "komplexe, eigenständige Sportart" wahrgenommen werden, fordert Fischer. "Funsport - das ist totaler Quatsch", ärgert er sich: "Zum Skaten gehören Training und Technik, wie zum Fußball auch." Wer schon einmal versucht hat, den Basistrick, einen Ollie, zu stehen, kann das mit Blick auf die spektakulären Aktionen der Profis nur bestätigen. Mit einem Stand bei den X-Games möchte der Verein nun nicht nur um neue Mitglieder, sondern auch um Akzeptanz und Respekt werben. Diese Arbeit hat sich in den vergangenen Jahren bereits ausgezahlt. Immer öfter kommen Eltern mit ihren Kindern auf Skateplätze, schauen zu oder stellen sich selber aufs Brett. Ein Phänomen, das Mirkovic an die amerikanischen "Soccer Moms" erinnert, die den Großteil ihrer Zeit für die Freizeit ihrer Kinder opfern.

Überhaupt hat sich die Klientel verändert. Früher seien vor allem Jugendliche aus sozial schwachen Familien aufs Skateboard gestiegen und hätten in der Welt der Bretter Anschluss gesucht, in einer rechtlichen Grauzone, als Rebellen, erzählt Mirkovic. Auch er kommt aus einer Migrantenfamilie, hat früh seinen Vater verloren. Heute dagegen sei Skateboarden eine viel breitere Bewegung geworden, fast schon Mainstream. Die Kinder kommen aus bürgerlichen Haushalten, Ausgrenzung und Protestkultur sind den meisten fremd. Jeder suche sich zusammen, was ihm gefällt: "Da verstehe ich viele Kids nicht. Allein das Outfit: enge Metal-Jeans, weite Hip-Hop-Shirts und eine Baseballcap auf dem Kopf. Subkultur ist vielen kein Begriff mehr."

Rollen auf dem Teer: Skateboarden ist heute keine Protestkultur mehr. (Foto: AFP)

Stattdessen rückt bei den Jungen der sportliche Aspekt in den Vordergrund und der Spaß. Mittlerweile gibt es sogar offizielle Skateboard-Kurse. In Kooperation mit den X-Games bietet der Verein High Five Workshops an 15 Münchner Schulen an. Von der fünften bis zur achten Klasse können Schüler Unterricht auf dem Brett nehmen - von Trainern betreut, mit Sturzhelm, Handgelenks-, Ellbogen- und Knieschonern. Auch das ist ein Beispiel der neuen, jungen Skateboard-Kultur und deren Professionalisierung. Sicherlich spielt der besondere Lebensstil weiterhin eine wichtige Rolle. Man pflegt sein extrovertiertes Aussehen genauso wie den lockeren Umgang und eine lässige Attitüde. Diese Anziehungskraft hat aber eben auch die Wirtschaft erkannt: Marken wie "Converse" oder "Vans" taugen nicht mehr als exklusives Erkennungszeichen, die tragen heutzutage auch Büroangestellte.

All das vermittelt eine Skateboard-für-alle-Kultur. Und in diesem Kontext bewegen sich auch die X-Games, das Riesenspektakel des Actionsports. Dass es dabei viel zu bestaunen gibt, auch für den alteingesessenen Münchner Skater Mirkovic, steht außer Frage. Er hat sich Karten gekauft für das "Big Air"-Springen auf der Riesenrampe im Olympiasee: "So einen Contest muss man einmal im Leben live gesehen haben. Das ist irre." Mag sich die Szene auch wandeln - Skateboarden bleibt in jedem Fall Staunen.

Die SZ-Serie zu den X-Games erscheint in den kommenden drei Wochen in loser Folge auf der Seite Sport in der Region.

© SZ vom 08.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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