Simulation einer Geburt:Es ist - eine Puppe

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Bei einer Geburtssimulation mit Plastikmutter proben Ärzte und Hebammen das richtige Verhalten bei Komplikationen. Dabei legt man großen Wert auf eine realitische Darstellung. Sogar die Stimme der Mutter wird live eingesprochen.

Stephan Handel

Es ist ein Junge! Stolz hält Herr Roth, der Vater, seinen Timo und kümmert sich gleich noch um seine Frau im Geburtsbett: "Nicht dass noch was passiert, Schatz." Sie antwortet: "Was soll denn jetzt noch passieren, Schatz?" Aber da passiert es schon: "Mir ist schlecht", jammert Frau Roth, ihr Blutdruck sinkt, der Puls steigt - weil sie blutet an einer Stelle, an der sie nun eigentlich nicht mehr bluten sollte. Jetzt müssen die beiden Hebammen, die die Geburt betreut haben, schnell und richtig handeln, sonst könnte es gefährlich werden für die junge Mutter.

Frau Roth ist eine Gummipuppe - an ihr üben Ärzte und hebammen was im Ernstfall zu tun ist. (Foto: Stephan Rumpf)

Gut, dass Frau Roth in Wirklichkeit nicht Frau Roth heißt, sondern "SimMam 3 G". Gut, dass das Blut kein echtes Blut ist und dass der kleine Timo ebenso wie seine Mutter aus Plastik ist. Sie sind die Hauptpersonen in einem Projekt des Klinikums der LMU: Unter dem Namen "Simparteam" sollen Hebammen, Geburtshelfer und Ärzte an einem Simulator üben, bei Komplikationen während und nach einer Entbindung die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Nichts Natürlicheres als eine Geburt - seit tausenden von Jahren bringen Mütter ihre Kinder zur Welt, ohne große Hilfe. Es sei ihm manchmal fast peinlich, sagt Franz Krainer, Chef der Geburtshilfe in der Frauenklinik Maistraße, wenn sich Eltern nach einer problemlosen Geburt bei ihm bedankten: "Die hat ja eh alles alleine gemacht."

Bei SimMam 3 G aber, die für die Simulation Frau Roth heißt, ist nicht alles glattgegangen: Der Uterus hat nicht getan, was er sollte, nämlich sich zusammenziehen, so dass die Blutung aufhört. Maria Champeimont, die Hebamme, und die Hebammenschülerin Stina Acker packen der Puppe einen Eisbeutel auf den Bauch.

Der Vater, immer noch mit dem Plastik-Timo auf dem Arm, schaut erstaunlich wenig beunruhigt, was vielleicht daran liegen könnte, dass er ein Mitarbeiter des Instituts für Notfallmedizin ist, das die Übung veranstaltet. Jetzt wird er aber eh hinausgeschickt, denn die Hebammen haben zwei Ärzte gerufen, die zunächst versuchen, ihre künstliche Patientin mit Infusionen zu stabilisieren.

Die Stimme kommmt aus der Regie

Währenddessen steht Celine Berzele im Regieraum hinter einer Glasscheibe und stöhnt in ein Mikrofon: "Mir ist so übel!" Berzele ist selbst Hebamme und die Stimme von Frau Roth. Was sie sagt, dringt aus einem Lautsprecher im Puppenkopf - es hat sich gezeigt, dass die Übenden die Äußerungen der Patientin ernster nehmen, wenn wirklich ein Mensch redet und nicht nur eine Stimme vom Tonband.

Einen Venen-Zugang legen, intubieren zur künstlichen Beatmung - das können die Leute im Kreißsaal, das ist nicht das Problem. Es geht vielmehr darum, Fehler zu erkennen und abzustellen, die durch mangelhafte Kommunikation entstehen: Zunächst ist nur die Hebamme bei der Gebärenden. Bei einer Krise kann es aber notwendig sein, Fachleute aller möglichen Disziplinen dazuzuholen, Gynäkologen, Kinderärzte, Anästhesisten. Da soll es nicht passieren, dass der Anästhesist die Verabreichung eines Medikaments anordnet, der Gynäkologe sich denkt, dass die Hebamme das schon machen werde, während sich die Hebamme auf ihre Schülerin verlässt, und die wiederum nicht daran denkt, dass sie gemeint sein könnte - so vergeht wertvolle Zeit, bis die vielleicht lebensrettende Arznei gespritzt wird.

Sandra Rummel und Tu-Mai Thies, zwei Gynäkologinnen, haben mittlerweile den Grund für die Blutung erkannt: Die Plazenta hat sich nicht vollständig gelöst; ihre Reste müssen aus dem Uterus entfernt werden. Dazu werden die beiden Anästhesisten Josef Hinterberger und Silvia Notbohm gerufen, denn die Patientin soll in Narkose versetzt werden. Zwar warten die beiden vor der Tür auf ihren Einsatz, aber damit's so realistisch wirkt wie im Ernstfall, wird aus dem Regieraum erst mit wenigen Minuten Verzögerung nach ihnen telefoniert - in einem echten Krankenhaus würden sie auch so lange brauchen bis zum Eintreffen.

Sie versuchen, alles so realistisch wie möglich zu machen im Keller des Instituts für Notfallmedizin in der Schillerstraße, wo die Simulatoren stehen: Holzpaneelen an den Wänden der Gänge, obwohl hier keine Krankenhausbetten entlanggeschoben werden. Der Korpus eines Rettungshubschraubers, wenn hier geübt wird, dröhnt Motorenlärm so laut wie in Wirklichkeit. Und zum Szenario "Kreißsaal" gehört auch eine Salzkristall-Lampe, weil es von Vorteil sein soll, wenn Babys das Licht der Welt in gedämpften Zustand erblicken.

Die Simulation ist zu Ende, das Team hat alles "super" gemacht, lobt Oberarzt Franz Krainer. Maria Champeimont meint, es könnte vielleicht von Vorteil sein, wenn sie mit den Leuten üben würde, mit denen sie auch im Klinikalltag zusammenarbeitet. Stina Acker, die Hebammenschülerin, gibt zu: Ganz habe sie es nicht vergessen können, dass das ja doch kein lebender Mensch ist, an dem sie gerade zugange ist.

In den nächsten Monaten soll Frau Roth alias SimMam 3 G in sechs weitere bayerische Krankenhäuser reisen, um dem dortigen Personal in lehrreicher Weise eine von sechs häufigen Geburtskomplikationen vorzugaukeln, die identifiziert wurden durch das Behandlungsfehler-Register des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, einem Mitinitiator des Projekts.

Franz Kainer sagt dann noch, dass sich die Hebammen in der Maistraße anfangs heftig gewehrt hätten gegen die Übung: "Das Puppenspielen könnt's bleiben lassen." Mittlerweile hätten sie aber den Nutzen erkannt. Ob sich der wirklich in handfesten Zahlen niederschlägt, wird wohl offenbleiben - Mütter, die nicht Frau Roth heißen und nicht aus Plastik sind, schaffen die Entbindung in den allermeisten Fällen ohne Schwierigkeiten.

© SZ vom 22.03.2012/ehm - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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