Siedlung am Lerchenauer See:Kästen in der Kolonie

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Im Eggarten soll ein Quartier mit bis zu 2000 Wohnungen entstehen, ein Teil wohl in Hochhäusern - dafür muss eine Kleingartensiedlung weichen. Anwohner und Pächter halten an ihren Protesten fest

Von Jerzy Sobotta, Siedlung am Lerchenauer See

Liebe geht durch den Magen, das dürften sich die beiden Investoren und die Münchner Stadtplaner gedacht haben, als sie unlängst die Pläne für die künftige Bebauung des Eggartens vorgestellt haben. Softdrinks und belegte Schnittchen vom Caterer gab es, freundliche Mitarbeiter, die einem beim Betreten des Pfarramts St. Johannes Evangelist die Anordnung der Infotafeln erklärten. Auf denen erblickten gut 300 Besucher, illustriert mit Bildern und Karten, die Ergebnisse des Strukturkonzepts, welches die Stadt und die beiden Grundeigentümer, CA Immo und die Büschl Unternehmensgruppe, für das 146 Hektar große Gelände nördlich der Schienen in der Nähe des Olympia-Einkaufszentrums entwickelt haben. Die 100 Jahre alte Kleingarten-Kolonie soll im kommenden Jahrzehnt etwa 1750 bis 2000 Wohnungen Platz machen.

Da das Konzept noch eine sehr frühe Etappe der Planung ist, sind die Studien entsprechend grob gerastert: Sie legen fest, wie viel Grünfläche es geben soll, wo Frischluftschneisen verlaufen, welche Bäume besonders wertvoll sind, an welcher Stelle Lärmschutzwände entstehen oder an welcher Stelle eine neue Bushaltestelle geplant ist - eine erste Grundlage für die Diskussion im Stadtrat.

Dieser könnte schon am 3. Juli eine Entscheidung fällen. Das Planungsreferat habe bereits vor einigen Wochen bei den Stadtratsfraktionen angefragt, berichtet Stadtrat Johann Sauerer (CSU). Er selbst werde zwar in jedem Fall gegen die Bebauung "eines der letzten idyllischen Paradiese" stimmen. Aber die CSU-Fraktion habe bereits mehrheitlich ihre Zustimmung signalisiert. Auch die Zustimmung der SPD im Stadtrat gilt als sicher. Wohnraum sei wichtiger als die Kleingärten einiger weniger Pächter, sagte Stadträtin Heide Rieke (SPD) am Rande der Veranstaltung.

Konkrete Vorschläge über die Art und die Höhe der Gebäude werden die Architekten erst im Zuge des städtebaulichen Wettbewerbs entwickeln. Der könnte Ende des Jahres ausgeschrieben werden, sollte der Stadtrat im Juli den Weg frei machen. Dann wird auch darüber gesprochen, wie dicht gebaut wird, ob die Gebäude sechs- bis achtstöckig werden, ob es Punkthäuser geben wird. "Auch höhere Häuser können wir uns gut vorstellen", sagt Rüdiger Kühnle, Projektleiter bei der CA Immo. Dabei deutet er auf ein Luftbild, das fünfzehnstöckige Hochhäuser zeigt, die seit Jahrzehnten nördlich des Lerchenauer Sees stehen. Beschränkungen gebe es jedenfalls keine.

Dass in dem neuen Quartier nicht nur teure Miet- und Eigentumswohnungen entstehen, stellt das Planungsinstrument der Sozialgerechten Bodennutzung (Sobon) sicher. Mindestens 40 Prozent müssen geförderte und preisgedämpfte Wohnungen sein, das entspricht bis zu 800 Wohnungen. Zusätzlich stellt Kühne etwa 200 preisgünstige Wohnungen in Aussicht, die über die Sobon-Vorgabe hinausgehen. Den Großteil dieser Wohnungen wollen die Investoren von Genossenschaften bauen und entwickeln lassen.

Eine entsprechende Absichtserklärung sei bereits unterzeichnet worden, bestätigt Christian Stupka von der Genossenschaftlichen Immobilienagentur München (Gima), in der sich gut 30 Genossenschaften und Wohnungsunternehmen zusammengeschlossen haben. "Wir haben eine große Nachfrage. Sechs Genossenschaften und zwei Familienunternehmen haben bereits Interesse am Bau angemeldet", sagt Stupka. Die Genossenschaften hätte sich überdies dazu verpflichtet, die Mietbindungen auf 40 bis 60 Jahre zu erhöhen. Die Zusammenarbeit mit den Investoren sei sehr konstruktiv, auch die Entwicklung der sozialen Infrastruktur wolle man gemeinsam ausarbeiten.

In punkto Infrastruktur haben die städtischen Planer bereits konkrete Vorstellungen: eine neue Grundschule inklusive Multifunktionsspielfeld, bis zu sechs neue Kindertagesstätten, ein so genanntes Flexiheim für Obdachlose und ein etwa 800 Quadratmeter großer Supermarkt an der Ecke Lassallestraße und Wilhelmine-Reichard-Straße. Ganz in der Nähe könnte auch die Buslinie 60 eine neue Haltestelle bekommen. Die künftigen Grünflächen sollen sich vor allem im Süden und Osten des Areals befinden, ein sieben Meter hoher begrünter Wall den Lärm entlang der Gleise abfangen. Dort soll auch weiterhin der Radverkehr verlaufen, samt einer Unterführung am südlichen Ende der Feldbahnstraße.

Bei der Vorstellung des Konzepts schreiben einige Besucher auch ihren Unmut auf gelbe Zettel. (Foto: privat)

Gabor Horvath, ein Anwohner aus der Fasanerie, steht vor einer Tafel und schüttelt den Kopf. Der Vierzigjährige fährt oft mit dem Fahrrad durch den Eggarten und findet es schade, dass das grüne Quartier bald bebaut werden könnte. "Ich dachte, hier wird vielleicht eine Gartensiedlung entstehen, und jetzt spricht man schon von Hochhäusern. Ich bin geschockt", sagt er. Auch Brigitte Voit ist nicht gerade begeistert. Sie ist in der Nähe aufgewachsen, und ihre Eltern gehören zu den 50 Pächtern von Kleingärten im Eggarten. Nicht alle sind an neuen Gärten interessiert, viele seien älter. Für die übrigen bemühe man sich um Ersatz entlang der Gleise, beteuert Rüdiger Kühnle von der CA Immo. Die 20 Häuser, die noch auf dem Gelände stehen, sollen hingegen abgerissen werden. "Fast alle befinden sich in einem sehr schlechten Zustand", sagt er. Nur ein oder zwei könnten restauriert erhalten werden, etwa als Nachbarschaftszentrum.

Den Abriss von Haus und Garten wollen einige Pächter und Aktivisten unbedingt vermeiden. Am Eingang haben sie ein Protestplakat aufgehängt, das zur "Rettung des Eggartens" aufruft. Sie haben auf einen öffentlichen Vortrag gehofft, bei dem sie protestieren können. Aber es gibt weder eine zentrale Präsentation noch eine Diskussion; Ansprachen an die Gäste hat der Veranstalter nicht vorgesehen. Der angekündigte Dialog findet nur in Einzelgesprächen mit den Investoren und Mitarbeitern des Referats für Stadtplanung und Bauordnung statt.

Der Frust über das absehbare Aus des Eggartens findet seinen Ausdruck auf den gelben Zetteln, die eigentlich mit Verbesserungsvorschlägen an die Wand gepinnt werden sollen. "Keine Bebauung! Kein seelenloses Betonghetto" ist dort zu lesen. Martin Schreck fordert, das Areal in ein Freilichtmuseum umzuwandeln. Dort soll man erfahren können, wie Siedler vor 100 Jahren ihre Häuser errichtet haben. Von dem neuen Strukturkonzept fühlt er sich überrumpelt und wirft Stadt und Investoren vor, die Veranstaltung bewusst in ein Feiertagsumfeld gelegt zu haben. Für eine Diskussion über das Vorhaben war also kein Raum - sie wird am 15. Mai im Bezirksausschuss Feldmoching-Hasenbergl nachgeholt werden müssen. Entscheiden kann das Stadtteilgremium über die künftige Bebauung allerdings nicht.

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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