Shoppen-Regisseur Ralf Westhoff:Der Beobachter

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Die Geschichten der anderen: Filmemacher Ralf Westhoff hat nach "Shoppen" nun "Der letzte schöne Herbsttag" gedreht - und überlässt die Interpretation diesmal dem Zuschauer.

Philipp Crone

Seine Filme können das, was er selbst nicht kann. Zumindest entsteht der Eindruck, wenn man dem Regisseur Ralf Westhoff zuhört. In seinem Kino-Erfolgsdebüt "Shoppen" vor drei Jahren führt er in den ersten 20 Minuten zehn verschiedene Charaktere ein, jeder einzelne ist mit nur einer Szene perfekt beschrieben.

Der Münchner Filmemacher Ralf Westhoff in seinem Lieblingscafé, dem "Baader-Café". Seine feinen Fältchen drapieren sich zu einem Lächeln, das auch ein Staunen sein könnte. (Foto: N/A)

Aber: "Ich bin nicht in der Lage, mich selbst zu beschreiben", sagt der 40-Jährige an einem Vormittag in seinem Lieblingscafé, und die feinen Fältchen in seinem Gesicht drapieren sich zu einem Lächeln, das auch ein Staunen sein könnte. Die brav gescheitelten Haare fallen in den Unschuldsblick, das beige Hemd ist zwei Knöpfe weit geöffnet. Westhoff fällt nicht auf, eher wird er übersehen.

Der Mann, der schon so viele Preise für seine Filmgeschichten erhalten hat, dass er sich nicht an die genaue Zahl erinnert, will in diesen Wochen ausnahmsweise nicht übersehen werden, denn an diesem Donnerstag läuft sein nächster Film an, "Der letzte schöne Herbsttag", auch schon prämiert. Ein Paar kämpft darin um seine Beziehung, wenig Action, viele Geschichten. Und Westhoff sagt: "Ich bin kein guter Geschichtenerzähler."

Von Wirtschafts- zu Beziehungswissenschaften. So entwickelte sich Westhoffs Leben in den vergangenen 20 Jahren. Zunächst studierte der Münchner BWL, aber "das war nichts für mich, einfache Sachverhalte kompliziert darstellen". Das ist schon eher etwas für ihn: Komplizierte Dinge in einfache Sätze bündeln. Auf den Punkt bringen. Zum Beispiel seinen Lebenslauf: "Los ging es mit einem Hörspiel."

Dass er noch verschiedene Uni-Vorlesungen ausprobierte und zwischenzeitlich nach erfolglosen Bewerbungen an Filmhochschulen jahrelang als freier Journalist beim Radio arbeitete, ist ihm nicht wichtig. Wichtig ist die Reise zum Mars, seine erste Inszenierung.

"Ich habe eine Geschichte geschrieben über einen Astronauten, der zum Mars fliegt. Auf dem Weg bricht der Kontakt ab. Als er zurückkehrt, weigert er sich, über seine Erlebnisse zu berichten. Vier Menschen, die ihn gut kennen, sprechen im Hörspiel über ihn." Westhoff erzählte diese Geschichte Sprechern wie Wolf Euba - und die lasen, weil sie ihnen gefiel. Das war der Anfang.

Wenn Westhoff redet, wird klar, warum er nicht erzählen kann, zumindest nicht über sich selbst. Er ist so höflich und zurückhaltend, dass er sofort ins Stocken gerät, wenn nur ein Hauch von Stolz oder Erfolg in einer Geschichte vorkommen. Zum Beispiel bei seinem neuen Film. Da sprechen die Protagonisten einen Monolog in die Kamera. Leo über Claire, Claire über Leo.

Der Zuschauer kann sich denken, was der Monolog aussagt über den Sprechenden und über den Besprochenen. Westhoff sagt: "Der Film bietet dem Zuschauer die Möglichkeit, sich die Geschichte selbst zu bauen." Dann stockt er. "Das ist ein bisschen Film 2.0, aber das würde ich so nicht sagen." Könnte ja arrogant klingen. Interaktiv? "Ja, ein bisschen."

Westhoff ist genau. "Jedes Satzzeichen hat eine Bedeutung", sagte Julia Koschitz, die Claire spielt, in einem Interview. Auch wenn es um die verwendete Technik geht. Die ist ja bei "Shoppen" und "Der letzte schöne Herbsttag" gleich, oder? "Nein!", sagt Westhoff, "da muss ich Ihnen widersprechen." Schon rutschen Salz-, Pfeffer- und Zuckerstreuer auf dem Tisch hin und her.

"Bei Shoppen gab es fast immer eine Dialog-Situation. Die Schauspieler haben ihr Gegenüber angesehen, die Kamera war knapp daneben." Der Zuckerstreuer steht nun knapp hinter dem Salzfass, hat den Pfeffer im Blick. "Im neuen Film sprechen die Protagonisten direkt in die Kamera." Salz weg, Zucker und Pfeffer stehen sich gegenüber. Monolog.

Über seine Arbeit spricht er gerne, über sich selbst nicht. "Stimmt. Sie können ja schreiben. Er geht in seiner Arbeit auf." Und vielleicht: Er arbeitet so, wie er ist: zurückhaltend. "Der Film soll mich nicht brauchen." Er soll für sich selbst stehen. Die Schauspieler geben nur einen Rahmen vor. Westhoff inszeniert keine großen Gesten, sondern beobachtet, lässt den Zuschauer entscheiden, wie die Geschichte läuft.

Statt Gut gegen Böse kämpft hier jeder gegen sich selbst. Das ist eine Inszenierung, die ihm Spaß macht. Die genaue Analyse des Miteinander, sind das eigene Erfahrungen? "Nein, ein Film über mich wäre todlangweilig." Westhoff klingt wie das personifizierte Understatement - ist das seine Selbstinszenierung als Filmemacher?

Westhoff beobachtet, hört im Alltag einen Satz, "und dann versuche ich von da aus weiterzudenken". Aber er fragt auch nach, zum Beispiel bei seiner vier Jahre älteren Schwester. Und, "natürlich habe auch ich schon mal eine Beziehung in den Sand gesetzt", und seine aktuelle Freundin hat sicher auch eine Meinung zu seinen Filmen. Aber er selbst spiele in den Geschichten keine Rolle.

Der Regisseur Westhoff spielt allerdings gerade mehr im Mittelpunkt als ihm lieb ist, kurz vor dem Filmstart. Denn diesmal gibt es keine Ausreden, er ist für alles selbst verantwortlich, für Erfolg oder Misserfolg. Er hat den Film geplant, produziert und gedreht. Wieder in seiner Heimat München.

Das ist allerdings schwer zu erkennen, nur das ehemalige X-Cess ist einmal zu sehen, und natürlich seine Lieblingsbar, das Baader-Café, wo er oft sitzt, "das beste Café der Welt". Vor lauter Schreck über so eine gewagte Aussage schenkt er sich aus der leeren Teekanne gleich zweimal nach. Er mag das Café, weil es hier so normal ist, nicht künstlich.

Obwohl er das Künstliche liebt, im Film. "Solche Sätze wie Claire manchmal sagt, formuliert kein Mensch", sagt er und deutet auf die Dame auf dem Poster an der Wand. Das Filmplakat hat er mit zehn Streifen Tesafilm festgemacht. "Das hat einfach nicht gehalten, ob das ein schlechtes Zeichen ist?" Die kleinen Fältchen in seinem Gesicht positionieren sich wieder. Nein, das glaubt er nicht.

Wie könnte nun also eine Charakterstudie à la Westhoff von sich selbst aussehen? Vielleicht so: Die Kamera läuft durch München, fängt kleine Alltagsgeschichten ein, dann bleibt sie vor einem Spiegel stehen, der Kameramann setzt sich neben seine Kamera und sagt: "Sehen Sie? Ich kann keine Geschichten erzählen." Das würde zu Westhoff passen. Eine Inszenierung, bei der sich der Zuschauer seinen Teil denken kann.

© SZ vom 09.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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