Serie "Kunst der Pause":"Die Situation ist ein Charaktertest"

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Ein kritischer Geist: Der deutsch-ungarische Schlagzeuger und Musikproduzent Leslie Mandoki. (Foto: Benjamin Zibner)

Die Krise stimmt Leslie Mandoki nachdenklich. Darin sieht er aber auch eine Chance

Protokoll von Oliver Hochkeppel, München

Das Kultur- und Sozialleben steht still. Zumindest äußerlich. Innerlich, in den Wohnzimmern und Köpfen der Künstler geht es natürlich weiter. Denn die Kreativität kann man zum Glück nicht einfach so ausschalten. Die Serie "Kunst der Pause" befragt die Kreativen ohne Bühne, was sie nun tun. Den Anfang macht Leslie Mandoki, Musikproduzent und Schlagzeuger.

SZ: Woran wollten Sie in diesen Tagen arbeiten, wenn durch Corona nicht alles lahmgelegt worden wäre?

Leslie Mandoki: Zur Zeit wäre ich eigentlich in Los Angeles und danach in New York für Interviews und zur Vorbereitung der dortigen Veröffentlichung unseres Soulmates-Doppelalbums "Living In The Gap/Hungarian Pictures" mit anstehender Tournee. Wir planen Release-Konzerte in ausgewählten US-amerikanischen Universitätsstädten wie Harvard oder Yale. Nach dem Erfolg unseres Albums und den ausverkauften Konzerten hier in Deutschland im Herbst letzten Jahres nun unsere Botschaft gegen die Spaltung der Gesellschaft auch in die Vereinigten Staaten tragen zu dürfen, ist für mich als Musiker ein ehrenvolles Privileg. Denn uns Musikern, die wir eine kommunikative Kunstform leben und schneller und direkter den Kontakt zum Publikum aufbauen können als die Schriftsteller aus ihren Schreibstuben und die Maler aus den Ateliers, kommt eine ganz besondere Verantwortung zu. Ich will mit meinen Songs wieder das Gemeinsame und Verbindende in den Vordergrund stellen, anstatt das Trennende. Meine geplante USA-Reise musste ich jetzt erst einmal verschieben, aber das wird natürlich nachgeholt.

Was machen Sie jetzt stattdessen?

Ich sitze in unserem verwaisten Studio, das Hamsterrad ist zum Stillstand gekommen, und ich spüre, wie diese Situation meine Gedanken auf Grundsätzliches lenkt. Diese Zeit zwingt uns alle zur Nachdenklichkeit und mich als Künstler auch, aus der Sicht eines Rock-Musikers mahnende Worte an die Gesellschaft zu formulieren. Meine Gedanken gelten den Grundwerten unserer Gesellschaft und der Frage: Wer ist in unserem Land eigentlich systemrelevant? Für mich sind die Helden dieser Tage all diejenigen, die die öffentliche Ordnung aufrechterhalten und die, die im Gesundheitswesen Leben retten. Sie spenden Trost, geben Halt und machen uns zuversichtlich. Dabei riskieren sie ihre eigene Gesundheit und auch die ihrer Familien, sei es an der Kasse im Supermarkt, bei der Müllabfuhr, bei der Polizei und der Feuerwehr. Sie alle können sich jetzt nicht ins Home-Office zurückziehen und sind für mich die Helden unseres Landes. Es ist sehr schade, dass diese wirklich systemrelevanten Berufsgruppen unter geringen Bruttolöhnen und geringer Anerkennung ihre Arbeit verrichten müssen. Die Situation ist ein Charaktertest. Es zeigt sich gerade, wer die Feinde unserer solidarischen Gemeinschaft und unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts sind. Für mich sind das die Spekulanten, die sich zu gerne, aber völlig unberechtigt Investmentbanker nennen. Es werden Milliardengeschäfte gemacht mit Wetten auf den rasanten wirtschaftlichen Abwärtstrend und das mit Geld, das diesen Leuten überhaupt nicht gehört. Anstatt einzelne Unternehmen mit Investments zu unterstützen, sitzen diese Investmentbanker in ihrem Home-Office und setzen auf den Verfall der Kurse an der Börse und somit auf den Untergang einzelner Firmen.

Was hilft Ihnen gegen triste Gedanken in diesen Tagen?

Als Musiker sehe ich in dieser Krise die Chance konstruktive Korrekturen an unserem gesellschaftspolitischen Leitbild vorzunehmen, damit die gelebte Menschlichkeit wieder in den Vordergrund rückt, damit die Achtsamkeit wieder über die Gleichgültigkeit und die Solidarität der Gemeinschaft über die Gier des Einzelnen siegt. Es ist jetzt an der Zeit neu zu bewerten, wer und was wirklich systemrelevant ist und wer mit seiner Tätigkeit einen gesellschaftlichen Mehrwert schafft und den Zusammenhalt stärkt, und wer mit seinem Zutun nur Profit aus der Vernichtung anderer generiert. Als Künstler mache ich mir auch Gedanken, was ich gegen die Spaltung tun und für den Zusammenhalt beitragen kann.

Worauf freuen Sie sich jetzt schon, wenn das kulturelle Leben wieder aufgenommen wird?

Ich freue mich, wenn wir als Musiker wieder direkt unserem Publikum begegnen können. Die Nähe der Musikliebhaber und auch die Nähe zu meinen Musikern und Toningenieuren im Studio fehlt in solchen Tagen sehr, aber umso größer ist auch die Vorfreude auf das große Open Air Konzert, das wir am 22. August in Budapest geben werden und auf unsere große Deutschland-Tournee im März 2021.

Haben Sie einen besonderen CD-, Buch-, Musik-, Streaming-, Handarbeits-Tipp für all uns Stubenhocker wider Willen?

Da ich ja nun etwas früher nach Hause komme als sonst, räume ich gerade meine Bibliothek etwas auf und auch um. Dabei freue ich mich, immer wieder auf wunderbare Schätze zu stolpern wie etwa Edgar Allan Poe oder Albert Camus. Beide haben Epochales verfasst, was gerade jetzt wieder so schrecklich aktuell ist.

© SZ vom 21.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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