Serie: Der Sound der Stadt, Folge 8:Heilsame Stille

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Das Kloster Sankt Bonifaz überrascht als ein Ort der Ruhe inmitten des lärmigen Getriebes der Großstadt. Auch die Stimmen der Bedürftigen finden hier Gehör

Von Melanie Just , Maxvorstadt

In der Ferne ist dunkles Donnergrollen zu hören. Eine Vespa knattert vorbei. Ein älterer Mann zieht schlurfend einen Koffer hinter sich her. Drei Frauen eilen vorüber. "I muas no eikafe gehn. Schaun, dass des Wetter hält", sagt die eine zu ihren beiden asiatischen Begleiterinnen, die nur mit Mühe Schritt halten können. Eine Taube hüpft gurrend von den drei Stufen, die zur Basilika von Sankt Bonifaz führen. Die schwere Eisentür zur Kirche lässt sich lautlos öffnen, fällt fast ohne ein Geräusch wieder zurück ins Schloss. Dann: Stille. Stille, die das Blut in den Ohren rauschen lässt.

Ganz bewusst gründete König Ludwig I. die Benediktinerabtei Sankt Bonifaz inmitten der Stadt, in direkter Nachbarschaft zum Königsplatz. Er wollte den Bewohnern seiner Haupt- und Residenzstadt das geistliche Leben wieder näher bringen und dieses gleichzeitig neu beleben. Seit 1850 bis heute halten die Mönche an dieser Idee fest. Für sie ist Sankt Bonifaz ein Ort, um den Menschen, die hier leben und arbeiten, Türen aufzutun, damit sie Wege zur Besinnung finden und Zeiten des Stillwerdens erleben. Auch die an das Kloster angeschlossene Pfarrei wird gerne als Zufluchtsort vor dem hektischen Alltag in der Großstadt genutzt.

Vollkommene Stille umhüllt dort den Besucher. Ein stummer Gast sitzt am anderen Ende des Gotteshauses. Nur das leise Ächzen der Holzbänke ist ab und an zu hören. Ein langes, dunkles Donnergrollen durchbricht die Stille. Dann das Hallen der eigenen Schritte beim Durchqueren des Kirchenraums. Die Seitentür lässt sich ebenso geräuschlos öffnen. Sie führt in den Klosterhof, wo wider Erwarten ein völliges Kontrastprogramm auf den Besucher wartet: "Hallo! Ich bin frei! Schieß zu mir!" schreit es über den Hof. Drei Buben rennen schnaufend einem Fußball hinterher, lassen ihn mit voller Wucht gegen die Wand des Jugendhauses prallen.

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(Foto: Stephan Rumpf)

In der Stadt brauche man keinen Ort der Zerstreuung, sondern der Sammlung,...

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...sagt Abt Johannes Eckert. Genau das suchen auch viele Besucher im Kloster Sankt Bonifaz.

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Dient der Hof nachmittags als Fußballplatz, wird er an den Vormittagen von rund 200 Menschen ohne festen Wohnsitz bevölkert. Die Mönche von Sankt Bonifaz engagieren sich in der Obdachlosenhilfe und geben den Bedürftigen an jedem Tag des Jahres warmes Essen, frische Kleidung oder medizinische Versorgung. "Sie unterhalten sich in den unterschiedlichsten Sprachen, rufen durcheinander, singen, spielen Ziehharmonika oder Gitarre", sagt Johannes Eckert, der seit 2003 Abt von Sankt Bonifaz ist. Etwa zwei Drittel der Bedürftigen, die kommen, sprechen kein Deutsch. Dieses Nicht-Verstanden-Werden wecke immer wieder Aggressionen, sodass es oftmals auch zu Auseinandersetzungen komme. "Doch egal, ob sie streiten oder lachen, hier hört man diejenigen, die in unserer Stadt kaum eine Stimme haben."

Zuhören spielt im Leben der zwölf Mönche von Sankt Bonifaz eine zentrale Rolle. "Sei es der Bedürftige, der Hilfe sucht, eine Familie, die den Verlust eines Angehörigen zu verarbeiten sucht oder ein Mensch, der bei der Beichte sein Innerstes offenbart - meine Mitbrüder und ich begleiten all diese Menschen und bekommen so einen ganz anderen Sound der Stadt zu hören, der nicht viel zu tun hat mit dem glanzvollen Leben in der Großstadt", gibt Abt Johannes einen Einblick in die Arbeit der Mönche. Sie leben nach der Ordensregel des heiligen Benedikt von Nursia, dem Gründer des Benediktinerordens. Darin heißt es schon zu Beginn: "Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters." Die Benediktinerregel solle sensibel machen für das Hin- und Zuhören, besonders da, wo es viele Stimmen und Stimmungen gebe, erklärt er.

Bevor der arbeitsreiche Tag der Mönche beginnt, liebt es Abt Johannes, sich in die Kapelle zurückzuziehen. "Oft komme ich noch vor der ersten Gebetszeit um 6 Uhr hierher, schreibe mein Tagebuch oder genieße einfach die Ruhe der langsam erwachenden Stadt." Doch die zeigt sich besonders an Sommerabenden, wenn Veranstaltungen auf dem Königsplatz stattfinden, oftmals auch von ihrer lauten Seite. An das Konzert des Techno-Musikers Paul Kalkbrenner im Jahr 2012 erinnert sich der Abt noch ganz genau: "Die wummernden Bässe haben die Klostermauern regelrecht erzittern lassen, während meine Mitbrüder und ich gebetet oder meditiert haben oder vielleicht sogar schon zu Bett gegangen waren. Doch gefühlt saßen wir mitten auf der Bühne. Aber das gehört eben auch zum Klosterleben in der Stadt", sagt er.

Totale Abschottung von der Außenwelt bietet die im Kloster gelegene Werktagskirche. In dem kleinen, fensterlosen Raum, bestückt mit nur wenigen Kirchenbänken, ragen knapp unter der Decke winzige Zellen in den Raum hinein. An drei Seiten sind sie durch Betonwände abgeschlossen, ihre Eingänge, die über eine Treppe außerhalb der Werktagskirche zu erreichen sind, vom Boden aus nicht zu sehen. "In diese Zellen, in die nicht mehr als eine Pritsche, ein Tisch und ein Stuhl passen, konnten sich die Mönche tagelang zurückziehen. Der Schriftsteller Carl Amery hat hier einen seiner Romane geschrieben", weiß Abt Johannes. Heute dürfen die kleinen Kabinen aus Brandschutzgründen nicht mehr genutzt werden. Die wenigen Bänke am Boden der Werktagskirche werden dagegen intensiv als Rückzugsort in Anspruch genommen. "Früher habe ich mich eingesperrt gefühlt, heute tut mir der Raum gut. Ich kann Luft holen, zur Ruhe kommen und die Geschehnisse des Tages Revue passieren lassen." Die Worte des Abtes hallen in dem kargen Raum noch kurz nach und werden dann von den Wänden verschluckt. Nur der Regen trommelt auf die kreisförmige Scheibe an der Decke, von der matt das Tageslicht hereinscheint.

In der Stadt brauche man keinen Ort der Zerstreuung, sondern der Sammlung. Beim Wiederaufbau von Kloster und Pfarrei, die beide im Zweiten Weltkrieg zu großen Teilen zerstört wurden, habe man auch architektonisch darauf geachtet, Orte der Sammlung - geistig wie körperlich - zu schaffen. "Zu uns kommen Gäste aus aller Welt, Mönche aus anderen Klöstern, Studenten oder Familienangehörige, die zur Ruhe kommen wollen. Viele sind überrascht, wie ruhig es hier, inmitten der Stadt, ist", so Abt Johannes. Nur das leise Rauschen der Lüftung der Antikensammlung, die direkt neben dem Kloster untergebracht ist, sei manchmal zu hören.

Zurück im Klosterhof dringen leise die hellen Kinderstimmen der Münchner jungen Chöre aus den Proberäumen. Das Donnergrollen ist weiter gezogen, doch umso lauter prasselt der Regen auf den Asphalt. Mit jedem Schritt rückt das Brummen, Quietschen und Knattern des Verkehrs auf der Karlstraße näher. Geschirr klappert im gegenüberliegenden Restaurant. Wortfetzen fliegen durch die Luft. Da ist er wieder, der weltliche Sound der Stadt.

Am Mittwoch lesen Sie: Der Sound der Stadt im Nymphenburger Schlosspark

© SZ vom 23.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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