Sendlinger Straße wird Fußgängerzone:Besseres Pflaster

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Brauereien, Rotlichtviertel, Luxusprojekte: Immer wieder verändert die Sendlinger Straße ihr Gesicht. Nun wird ein Teil der Straße zur Fußgängerzone. Manchen Anwohnern gefällt das, anderen überhaupt nicht.

Christina Warta

Es ist, wie so oft, eine Frage von Zentimetern. Direkt vor der Asamkirche schiebt sich ein blauer Lieferwagen über die Sendlinger Straße. Der Abstand zu einem schwarzen Geländewagen, der am linken Straßenrand geparkt ist, beträgt geschätzt einen guten Zentimeter. Der Abstand zu einem silberfarbenen Kleinwagen auf der rechten Seite ist keinesfalls größer. Zentimeter für Zentimeter bugsiert der Fahrer seinen Wagen durch die Straße: schaut hektisch auf der linken Seite aus dem Fenster, dann wieder angstvoll in den rechten Außenspiegel. "So ist das immer hier", sagt Schwester Carla. "Sie müssten erst mal sehen, wie die Müllabfuhr hier durchfährt."

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In der Sendlinger Straße geht es in diesen Tagen hoch her. Im vorderen Teil, zum Färbergraben hin und im Bereich der Hofstatt, wird schon seit Jahren gelärmt und gebaut. Staub steigt auf, Baustellenfahrzeuge rangieren hin und her, die Fahrbahn ist verengt. Und nun kommen an diesem Dienstag auch noch die städtischen Arbeiter, denn die Sendlinger Straße wird umgebaut. Der Abschnitt zwischen Färbergraben und Hackenstraße wird für Autos gesperrt und in eine Fußgängerzone umgewandelt. Ein Fortschritt, finden die einen - eine vertane Chance, meinen andere.

So oder so - in jedem Fall verändert die Sendlinger Straße wieder einmal ihr Gesicht, wie sie das im Lauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte immer wieder getan hat. Im Mittelalter war die enge Straße das Zentrum der hiesigen Brauzunft - zeitweise gab es hier bis zu zehn Brauereien. Letzter verbliebener Zeuge dieser Zeit ist die Gaststätte "Hackerhaus" aus dem Jahr 1417. Johann Wolfgang von Goethe holperte 1786 in der Postkutsche über das Kopfsteinpflaster Richtung Italien. Die Sendlinger Straße war damals die wichtigste Ausfallstraße in Richtung Süden.

In der Nachkriegszeit fühlte sich in der engen und turbulenten Gasse zwischen Anger- und Hackenviertel ein eher zwielichtiges Milieu wohl. Die Sendlinger Straße wurde zum Rotlichtviertel, der Kolumnist Sigi Sommer besang die Straße als "Rue de Galopp". Sommer musste es wissen: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren auch die Zeitungsverlage in die Sendlinger Straße gezogen: die Süddeutsche Zeitung und die Abendzeitung. Alteingesessene Läden wie eine Seilerei, ein Schilder- und Stempelladen, inhabergeführte Modegeschäfte und kleine Restaurants prägten jahrzehntelang die quirlige Atmosphäre der Sendlinger Straße.

Und nun wandelt sich die Straße erneut. Schon in den vergangenen Jahren verschwanden viele der kleinen Geschäfte, stattdessen zogen die Filialen internationaler Ketten in die Bürgerhäuser ein. Mieten, die sich Familienunternehmen nicht mehr leisten können, sind für weltweit operierende Unternehmen meist kein Problem. Mit der Eröffnung der luxuriösen Büro- und Einkaufspassage "Hofstatt", die am früheren Stammhaus des Süddeutschen Verlags entsteht, und der Ausweitung der Fußgängerzone bis zur Hackenstraße soll nun noch mehr kaufkräftiges Publikum in die Sendlinger Straße gelenkt werden.

Das findet nicht jeder gut. Peter Arnold zum Beispiel wohnt seit 1993 in der Sendlinger Straße, auf Höhe des Asamhofs. "Wir sind gerne in die Innenstadt gezogen", sagt Arnold, der auch den Arbeitskreis Innenstadt des "Münchner Forums" leitet. "Aber ich frage mich: Kann die Stadt nicht noch etwas anderes sein als eine Kapitalanlage?" Von seinem Fenster aus sieht Peter Arnold derzeit 15 Kräne. In der Umgebung wird überall gebaut, und neue Gebäude ziehen meist auch höhere Mieten nach sich. Am Ende, so fürchtet er, können sich nur noch Betuchte und internationale Unternehmen Wohnungen und Läden in der Innenstadt leisten.

Peter Arnold hätte es konsequent gefunden, wenn die gesamte Sendlinger Straße zur Fußgängerzone deklariert worden wäre - mit den Querungsmöglichkeiten, die auch bisher schon bestehen. "Zwei Drittel der Straßenfläche werden von parkenden Autos eingenommen", sagt er. "Die Straßen, die Gehsteige, das ist alles knackevoll." Gerade Besuchergruppen, die die Fassaden der Asamkirche oder des Singlspielerhauses betrachten wollen, blockieren häufig den Gehsteig. "Die Stadt hätte wenigstens mal einen Versuch wagen und es zwei Jahre lang ausprobieren können", findet Arnold. Doch durch die "Stummellösung", wie er sie bezeichnet, biete man den Investoren im Bereich des Marienplatzes eine schöne "Terrasse", während die restliche, nicht von Autos befreite Sendlinger Straße zum Hinterhof werde.

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Anderer Meinung ist dagegen Wilhelm Fridrich, Mitinhaber des gleichnamigen Juweliergeschäfts an der Ecke Sendlinger und Hermann-Sack-Straße. "Wir finden es sehr gut, dass ein Teil der Sendlinger Straße jetzt Fußgängerzone wird." Das alteingesessene Familienunternehmen existiert seit fast 150 Jahren und wird künftig genau am Rand der neu ausgewiesenen Zone liegen. "Ich denke, dadurch und durch die neue Hofstatt wird das hier eine ganz andere Art Straße", sagt Fridrich. Anders als Peter Arnold, der bezweifelt, dass die Passage rentabel das Luxussegment bedienen wird, glaubt er: "Das wird hier gut funktionieren. Wir werden bedeutend mehr Publikumsverkehr bekommen."

Über mangelnden Publikumsverkehr kann sich Schwester Carla schon jetzt nicht beklagen. Gemeinsam mit ihrer Mitschwester Huberta betreut die Dillinger Franziskanerin die Asamkirche. Saubermachen, Dekorieren, Führungen anbieten und hin und wieder die Besucher zur Ruhe mahnen - das ist das Aufgabengebiet der beiden Schwestern, die direkt neben der Asamkirche im sogenannten Priesterhaus im vierten Stock wohnen. "Eine wunderbare Altbauwohnung", schwärmt Schwester Carla, jedoch: "Was hier leider fehlt, ist ein Supermarkt." Die Dinge des täglichen Lebens sind nur schwer zu bekommen in der Sendlinger Straße. Auch der Metzger gleich nebenan hilft nicht weiter: "Wir sind Vegetarierinnen." Und einen Ort der Ruhe, den vermisst Schwester Carla auch manchmal. "Da muss ich bis zum Alten Südfriedhof gehen", sagt sie. Der Idee einer Fußgängerzone für die gesamte Straße wäre auch sie deshalb nicht abgeneigt.

Doch wenn am Dienstag die Arbeiter anrücken, geht es erst einmal nur um einen kleinen Teil der Sendlinger Straße. Für die Stadt ist der Terminplan trotzdem ziemlich eng. Schon im Herbst soll der Raum zwischen Hofstatt und Konen den Flaneuren zur Verfügung stehen. Und wer weiß: Vielleicht wollen dann bald auch jene Anwohner und Geschäftsleute, die außerhalb des Fußgängerzonenbereichs wohnen und arbeiten, ebenfalls solch einen autofreien Bereich vor ihrem Haus haben.

© SZ vom 10.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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