Wie ist es Heinrich Heine im Radspielerhaus ergangen, wo er 1827 für einige Monate Unterkunft gefunden hatte? Und wovon hätte wohl Rainer Werner Fassbinders letztes Drehbuch gehandelt, vorausgesetzt, er hätte kurz vor seinem Tod 1982 noch an einem gearbeitet? Antworten auf diese Fragen haben sich junge Münchner Nachwuchsautoren ausgedacht, die sich 2014 im Zuge eines Schreibseminars der Stadtbibliothek mit "Geschichten hinter historischen Mauern" beschäftigten. "Der Vierzehnjährige, der sich mit Fassbinder beschäftigte, ist nach Schwabing zu dessen Haus gefahren, hat sich sogar getraut, dort zu klingeln und Fotos im Treppenhaus zu machen", sagt Gitta Gritzmann.
2007 hat sie ihren mehrfach ausgezeichneten Verein "Kinder lesen und schreiben für Kinder" gegründet, mit dem sie Schreibwerkstätten und Schulprojekte in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Museum, dem Tollwood-Festival, dem Bund Naturschutz, dem Kultur-Sommer, der Roland Berger Stiftung und den Stadtbibliotheken veranstaltet. Die Reihe "Geschichten hinter historischen Mauern" rief Gritzmann, die Germanistik, evangelische Theologie und Vergleichende Literaturwissenschaften studierte, 2012 ins Leben. Inspiriert durch die besondere Umgebung eines historischen Ortes in Bayern, etwa der Burg Trausnitz in Landshut oder des E. T. A. Hoffmann-Hauses in Bamberg, entwickeln die Nachwuchsautoren Geschichten, die später in Sammelbänden oder als Hörbuch, unter anderem gelesen von Udo Wachtveitl, veröffentlicht werden.
Am Freitag, 2. Februar, startet im Künstlerhaus am Lenbachplatz die nächste historische Schreibwerkstatt für Zwölf- bis 18-Jährige. "Mir ist immer ganz wichtig, dass die Teilnehmer nicht nur im stillen Kämmerlein schreiben, sondern viel recherchieren", sagt Gritzmann. In Bamberg diente beispielsweise eine Nachtwächter-Tour durch die Stadt als Inspiration. Im Künstlerhaus wird sie die Teilnehmer zunächst mit der Architektur und Geschichte des Hauses vertraut machen, ihnen erzählen, wer dort früher unter welchen Umständen gelebt hat und welche Namen üblich waren. Denn, auch wenn die Geschichten fantastisch sind, sollten sie doch stimmig im historischen Umfeld verankert sein. "Auch Räume können eine wichtige Rolle spielen, etwa wenn dort ein historisches Gemälde wiederentdeckt wird oder eines verschwindet", sagt Gitta Gritzmann.
In den Seminaren beschäftigen die Teilnehmer sich auch mit den Grundlagen einer guten Geschichte, etwa mit spannenden Textanfängen. Was hat es mit der "Magie des ersten Satzes" auf sich? "Schreibe den ersten Satz so, dass der Leser unbedingt auch den zweiten lesen will", hat William Faulkner gefordert. Wer Probleme hat, einen solchen zündenden Einstieg zu finden, für den hält Gritzmann ihre "Satztruhe" bereit. "Das Haus war seit zehn Jahren nicht mehr bewohnt. Aber nachts wurde dort Licht in den Fenstern gesehen", kann der beispielsweise lauten. "Der bringt die jungen Schreiber sofort auf die tollsten Ideen", sagt Gritzmann (2. Februar, 4. Mai, 29. Juni).