Semesterbeginn in München:Der ganz normale Wahnsinn

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Zwar steigt die Zahl der Studenten in diesem Semester massiv, die schlimmsten Szenarien sind aber nicht eingetreten an den Münchner Universitäten - auch weil viele Abiturienten gen Osten ausgewandert sind.

Sebastian Krass und Martina Scherf

Beim Buchstaben "H" bekam Michael Hochgeschwender einen Anfall: "99 Einschreibungen für den Bachelor - das waren schon ein paar mehr als im vergangenen Wintersemester insgesamt", erzählt der Direktor des Departments für Anglistik und Amerikanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. "Unser Horrorszenario schien wahr zu werden" - die Einschreibung erfolgt alphabetisch.

Voll, aber nicht so voll wie befürchtet: Studenten in der LMU. (Foto: Robert Haas)

Doch dann passierte Wundersames: Von I bis Z kamen nur noch 33 Erstsemester hinzu. Macht einen Zuwachs von 45 Prozent gegenüber dem vorigen Wintersemester - klingt viel, liegt aber "im Rahmen dessen, was wir erwartet haben und was wir mit unseren fünf neuen Stellen stemmen können", wie Hochgeschwender sagt.

Entspannung also, erst einmal. Diese Einschätzung teilen auch andere bayerische Universitäten. Zwar strömen nach dem doppelten Abiturjahrgang in Bayern und Niedersachsen sowie der Aussetzung der Wehrpflicht mehr junge Menschen an die Hochschulen als je zuvor - alle Unis melden Rekorde bei den Einschreibungen. Aber darauf hatte man sich eingestellt, auch wenn die tatsächlichen Zahlen nun leicht über den Prognosen liegen.

Durch das Ausbauprogramm des Freistaats gibt es mehr Räume und Personal. Zum Teil haben die Fakultäten auch noch einmal ihre Stundenpläne nach freien Zeitfenstern durchforstet, in die man noch eine Übungsstunde hineinquetschen könnte.

Geprüft wird jetzt auch an Wochenenden, Vorlesungen finden bis spätabends statt. Und an volle Hörsäle und fehlende Wohnheime haben sich ohnehin längst alle gewöhnt. Die LMU hat derzeit gut 9400 Studienanfänger - damit bleibt die größte deutsche Uni knapp unter der 50.000er-Marke. Die Technische Universität München (TU) überschreitet im Wintersemester erstmals die Marke von 30.000 Studenten. Aber auch hier heißt es: Fast 50 Prozent mehr Anfänger als im Vorjahr, "das liegt im Rahmen der Erwartungen", wie Uni-Sprecher Klaus Becker bestätigt.

Und die Hochschule München, die frühere Fachhochschule, meldet: Alles im grünen Bereich. Allerdings haben diese beiden Hochschulen schon im Sommersemester deutlich mehr Studenten aufgenommen als sonst, und die FH hat ohnehin für die meisten Studiengänge Zugangsbeschränkungen. Sie nimmt nur so viele, wie sie vernünftig ausbilden kann.

Es gibt auch Fakultäten an den großen Unis, die überrascht sind, dass sich gar nicht so viele Studenten eingeschrieben haben wie erwartet. Im klassischen Massenfach Lehramt an der LMU zum Beispiel ist der Zuwachs nicht größer als in den Jahren zuvor. Da mögen die Schlagzeilen jüngster Zeit, dass Lehrer zwar dringend gebraucht, aber nicht eingestellt werden, abschreckend gewirkt haben.

Und die LMU-Physiker verzeichnen gegenüber dem Vorjahr fast gar keinen Zuwachs. "Wir fragen uns, wo die Leute geblieben sind", sagt Studiengangskoordinator Bernhard Emmer. Eine mögliche Erklärung liegt gleich hinter den Grenzen des Freistaats: Die Uni Leipzig verzeichnet einen deutlichen Zuwachs an West-Studenten: Fast 2200 Bayern haben sich dort beworben, das sind doppelt so viele wie im Vorjahr.

Wie viele dann tatsächlich zu studieren beginnen, zeigt sich erst in den nächsten Wochen. Doch die Leipziger Studentenkanzlei rechnet in jedem Fall mit einer Zunahme an bayerischen Studenten - und rollt ihnen den roten Teppich aus, denn den östlichen Bundesländern geht der Nachwuchs aus. In Sachsen sind die Wohnungen billig, die Kneipen lebendig, das Betreuungsverhältnis an den Unis sehr gut.

An der Technischen Universität Dresden haben so in diesem Herbst 500 Erstsemester aus Bayern ihr Studium aufgenommen - mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Auch österreichische Unis stellen seit Jahren fest, dass immer mehr Bayern kommen, vor allem um die Studiengebühren zu vermeiden.

Inzwischen muss man sich dort schon in den Sommerferien voranmelden, wenn man im Herbst ein Studium aufnehmen will. Zum aktuellen Wintersemester, das am 1. Oktober begonnen hat, war an der Uni Salzburg jeder fünfte Bewerber ein Deutscher - die meisten von ihnen kamen aus Bayern. In Innsbruck werden bis zum Ende der Einschreibefrist, die noch bis November läuft, etwa 1300 Deutsche unter den Erstsemestern sein - im Vorjahr waren es nur 740. Auch hier kommen zwei Drittel aus Bayern, teilt die Studentenkanzlei mit.

Müsste man all diese mobilen jungen Leute auch noch in Bayern unterbringen, so wäre das Horrorszenario, das viele noch im Sommer heraufbeschworen hatten, vermutlich doch wahr geworden. Aber das Pokern um Studienplätze ist auch ein Spiel um viel Geld. Denn Unis, die mehr Studenten anziehen, erhalten mehr Geld vom Staat.

Und so freuen sich nun die Universitäten unisono darüber, dass sie die Prognosen noch übertroffen haben. Damit hat Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch gute Karten, um innerhalb der Regierung seine Forderung nach weiteren 10.000 Studienplätzen im nächsten Jahr durchzusetzen.

Und noch etwas ist klar: Wenn man noch all jene hinzurechnet, die sich von dem Massenansturm haben abschrecken lassen und erst einmal nach Australien oder Costa Rica gehen, ein Praktikum, eine Berufsausbildung oder ein freiwilliges soziales Jahr machen, dann heißt das für 2012: Es wird wieder eng. "Die Menschen lösen sich ja nicht in Luft auf", sagt Koordinator Emmer von der LMU

© SZ vom 15.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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