Sehenswert:Très chic!

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Ein Samstag, zwei charmante Ereignisse in Pasing: Der neue Bücherschrank wird gestürmt, während junge Leute in Frack und Perücke eine "Jubeldemo" abhalten

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Samstag, Spätvormittag in Pasing. Nach der hektischen Woche haben die Leute nun Zeit, ihre Rituale zu pflegen. Die Alteingesessenen begeben sich auf die vertraute Runde durch die Zentrumsstraßen. Um Gemüse und Blumen gehen sie zum kleinen Viktualienmarkt, von dort zirkeln sie weiter ins Reformhaus, zum Bäcker und dann nach Hause. Die Hektik vor den Arcaden lassen sie links liegen. Andere wiederum scheinen gerade diesen Ort zu lieben, zu Tausenden strömen sie zum Shoppen dorthin. Auch so ein Ritual. Manchmal, wie an diesem Samstag, schleicht sich eine kleine Irritation in diese Routine. Etwas ist anders.

Auf dem Platz vor dem Pasinger Rathaus, hübsch saniert mit Sitzbänken und in den Boden versenkten Trampolinen, spielt eine Dixie-Band, der Geruch von gebratenen Würsteln liegt in der Luft. Leute haben sich vor einer roten Box versammelt, die an eine englische Telefonzelle erinnert und wie ein Geschenk unter einen roten Vorhang aufs Auspacken wartet. Auffällig viele Leute haben Taschen dabei, zeigen sie sich gegenseitig den Inhalt und lächeln verschwörerisch. Dann rauscht es in der Mikrofonanlage, und Rüdiger Schaar begrüßt die Menge. Es sei Tag des Bayerischen Bieres, sagt der Stadtteilpolitiker, vor allem aber der Welttag des Buches. Viel besser habe man es also nicht treffen können, um den offenen Bücherschrank in Pasing zu übergeben, den zweiten in München, aber ersten auf städtischem Grund, und den 260. im gesamten Bundesgebiet. Dann darf Bezirksausschussvorsitzender Romanus Scholz (Grüne) den Vorhang wegziehen. Der Schrank wird gestürmt.

Fesche Menschen beim ironischen Protest gegen Gentrifizierung. (Foto: Stephan Rumpf)

Gerlinde Aigner hilft den Leuten, mitgebrachten Lesestoff in den Schrank zu stellen und Lektüre herauszunehmen. Aigner gehört zum Team der Bücherpaten und wird künftig darauf achten, dass die rote Box mit den selbstschließenden Plexiglasscheiben stets gut und politisch korrekt gefüllt, sauber und zugänglich ist. Andreas Wolff reicht der Bücherpatin einen ausgelesenen Kluftinger-Krimi. Zuhause hat er noch viel mehr Bücher, die er nun nach und nach vorbeibringen will. "Lange haben wir auf den Bücherschrank gewartet", sagt der Pasinger. Auf dem Rathausplatz geht es nun zeitweilig zu wie auf der Buchmesse. Die Pasinger tauschen nicht nur Bücher, sondern auch Lesetipps. Und so manche Neuigkeit macht auch die Runde. Man fragt sich zum Beispiel, wer die elegant gekleideten jungen Leute sind, die vorne am Bahnhof Prosecco ausschenken.

"I komm grad von der Arbeit, was is' denn hier los?" Ein Typ, mittleren Alters in Hillbilly-Kleidung ist auf einen Polizeibeamten zugetreten und deutet auf die Versammlung auf dem Bahnhofsplatz. Junge Leute, verkleidet wie er, nur eben anders, entkorken Sektflaschen, prosten sich, den Passanten und Polizisten zu. Sie sehen aus, als hätten sie den Kleiderschrank ihrer Urgroßeltern geplündert: Es gibt Fracks, Zylinder, Perücken Flohmarkt-Flair, aber très chic. Die quirlige Vintage-Gesellschaft hat auch eine Botschaft dabei: "Konsum ist unsere Religion", "Arbeit ist ordinär, ich bin Aktionär" steht in grüner Schrift auf Pappendeckel-Plakaten geschrieben. Ab und an skandiert jemand "Papa, ich will einen Porsche!", "Wo bleibt mein Kaviar!"

Heiß begehrt war der Bücherschrank vor dem Pasinger Rathaus. (Foto: Stephan Rumpf)

Eine alte Frau, sie geht sehr langsam und zieht einen Einkaufswagen hinter sich her, bleibt vor einem der Hutträger stehen und fragt mit zittriger Stimme. "Sagen'S, was machen'S denn da?" Der junge Mann antwortet sehr höflich: "Wir protestieren gegen Gentrifizierung." Die Alte sagt "Aha" und starrt ihn in vollkommenem Unverständnis an. Der Hillbilly-Typ hat inzwischen auch herausbekommen, um was es geht. Der Verein "Konsum + Arbeit = Reales Leben", kurz Karl, veranstaltet eine Jubeldemo. Mit ihrem als Satire getarnten Protest prangern sie an, dass immer mehr Freiräume für alternative Kultur in München, und ganz aktuell in Pasing, verschwinden; dass den Investoren von der Stadt der rote Teppich ausgelegt wird. Sie beklagen Luxussanierungen auf Kosten bezahlbarer Mieten.

Der Hillbilly-Typ sagt anerkennend "so ist es", doch dann möchte er mit dem Polizisten lieber über dessen lederne Dienstjacke reden. "Mei, eam schaug o, wie bei Isar 12!" Der Beamte ist geschmeichelt, man plaudert eine Weile über Münchner Polizeimode. Dann muss er sich um die Demo kümmern, die eigentlich gar nicht auf dem Bahnhofsplatz stattfinden darf, weil das Privatgrund der Bahn ist. Bis sich die Sache geklärt hat, vergeht fast eine Stunde. Die jungen Leute wechseln ohne Murren auf eine öffentliche Fläche, später setzt sich ihr Protestzug in Bewegung. Vorbei am Traditionsschuhhaus Raab, das auch seine Pasinger Filiale schließt. Der Jubeldemo-Zug zieht im großen Bogen vorbei an den Arcaden, wo man Station macht für eine "Anbetung mit Hostienspende".

Ein Schampus auf den Luxus. (Foto: Stephan Rumpf)

Auf dem Rathausplatz hört man das Skandieren der Demonstranten von Ferne. Kinder spielen und hopsen auf den Trampolinen. Der Bücherschrank hat nach dem Ansturm schon ziemlichen Leerstand. Jetzt wartet er auf Kunden. Dieser neue, winzige Freiraum für die Kultur in Pasing.

© SZ vom 25.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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