Schuleingangsuntersuchung:Das Kann-Kind

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Aadel, Maximilian und Victoria (von links) nehmen am Modellprojekt teil, das die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml vorstellt. (Foto: Florian Peljak)

Viele Mädchen und Buben werden in Bayern ein Jahr später eingeschult. Der Freistaat will sie künftig lieber früher fördern. Ein neues Screening soll helfen, Entwicklungsdefizite eher zu erkennen. Das Modellprojekt läuft auch in München - und wird gut angenommen

Von Laura Kaufmann

Fünfeinhalb sei sie, sagt Victoria stolz. "Normal fünf", sagt Aadel. Beide gehen in den Kindergarten und haben gerade an einem Pilotprojekt des Freistaats teilgenommen: am Gesundheits- und Entwicklungsscreening im Kindergartenalter, kurz GESiK genannt. Deswegen sitzen sie jetzt mit Maximilian, ebenfalls "normal fünf", an einem Kindertisch im Referat für Umwelt und Gesundheit und malen. Während die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) und die Münchner Gesundheitsreferentin Stephanie Jacobs den Journalisten die vorgezogene Schuleingangsuntersuchung erklären.

"Wir sind in Bayern mit den Untersuchungen relativ spät dran und gehen vielleicht auch nicht so tief wie andere Bundesländer", sagt Melanie Huml. Das soll sich durch das GESiK ändern, das seit November 2015 als Modellversuch in einigen bayerischen Landkreisen und Kommunen läuft. In München sind exemplarisch 2000 Kinder vom Schuljahrgang 2017/2018 aus einigen Stadtbezirken eingeladen worden. Die Resonanz sei sehr gut bisher, versichert Stephanie Jacobs. Zwei Millionen Euro kostet der Versuch bayernweit. Die Ergebnisse sollen im März 2018 im Kabinett präsentiert werden.

Huml ist überzeugt, dass das Projekt dann auf ganz Bayern ausgeweitet werden kann. "Viele Kinder wurden bisher durch die Schuleingangsuntersuchung ein Jahr zurückgestellt, um noch ein Jahr Zeit zu haben, Entwicklungsdefizite aufzuholen. Und dann sind sie in der Schule auch noch ein Jahr älter als die anderen. Wir halten es für sinnvoller, die Kinder gleich früher zu fördern, statt sie rückzustellen", sagt Huml. Bayern hat die höchste Rückstellungsquote Deutschlands, etwa 13 Prozent der Kinder würden hier später eingeschult. Manchmal ist das sinnvoll, manchmal aber auch unnötig. Und diese Kinder belegen ein Jahr länger sowieso schon knappe Kindergartenplätze.

Victoria ist so ein "Kann-Kind": Sie wird im November sechs Jahre alt. "Sie ist sehr fit, kann aber auch noch sehr vertieft spielen", sagt ihre Mutter Jezebel Roth. Eine eindeutige Empfehlung kam bei der GESiK-Untersuchung nicht heraus: "Sie könnte eingeschult werden. Ich soll einfach auf mein Bauchgefühl hören. Aber ich weiß jetzt immerhin, dass es kein grober Fehler wäre, sie dieses Jahr einzuschulen. Es ist gut, eine Einschätzung zu haben", so Roth.

In erster Linie sollen mit der Untersuchung Kinder erreicht werden, deren Eltern sich eben nicht solche Gedanken machen wie Victorias Mutter. "Ich möchte, dass in einer leistungsstarken Stadt wie München kein Kind durchs Raster fällt", sagt Stephanie Jacobs. Anders als andere Vorsorgeuntersuchungen ist die Schuleingangsuntersuchung verpflichtend für alle Kinder. "Wir sind eine Großstadt mit einem Migrationsanteil von 40 Prozent", sagt Jacobs. "Das vergisst man oft, weil Integration hier sehr gut gelingt." Aber: Bayernweit sind 38,7 Prozent aller Screeningbefunde bei der Einschulungsuntersuchung auffällig. Das kann von einer Sehschwäche bis zu motorischen Problemen vieles sein.

Am häufigsten werden aber Sprachdefizite bei Kindern festgestellt, mangelnde Deutschkenntnisse. Da liegt es nahe, diese Kinder schon früher als erst ein paar Monate vor der Einschulung zu untersuchen. Deutschkurse gibt es bereits für Kinder im vorletzten Kindergartenjahr. "Die Angebote in der Stadt sind so vielfältig, man muss sie einfach nur kennen", sagt Jacobs. Und viele Defizite lassen sich, früh genug entdeckt, auch in einem Jahr beheben, wenn die Eltern entsprechende Hilfestellungen an die Hand bekommen.

Das sagt auch die Ärztin Uta Nennstiel-Ratzel vom Landesamt für Gesundheit. "Viele Kinder kann man spielerisch zu Hause fördern - sie sich selbst anziehen lassen, sie beim Einkaufen darum bitten, noch zwei Äpfel zu holen." Kleine Dinge, die sie fordern und fördern. Tipps, die die Ärzte den Eltern mit nach Hause geben. Kurz vor der Einschulung ist es dafür aber oft zu spät. "Manchmal kann man dann nur noch durch Therapie helfen."

Aadel wird schon dieses Jahr zur Schule gehen, er malt jetzt schon konzentriert Buchstaben auf sein Blatt. "Wir üben viel mit den Kindern", sagt sein Vater Wahab Ahmadzei. Vor 25 Jahren kam er aus Afghanistan nach Deutschland, seine beiden ältesten Kinder gehen schon auf das Gymnasium. "Ich freue mich für Aadel, dass er schon dieses Jahr in die Schule darf", sagt er. Victorias Mutter will sich noch Zeit lassen mit der Entscheidung: bis April, zur nächsten Untersuchung.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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