Schon gehört? Letzte Folge der SZ-Serie:Nicht Fahrgäste, sondern Gäste

Lesezeit: 4 min

Franco Scifo steuert den Bus der Linie 258 durchs Würmtal. Der persönliche Kontakt ist ihm das Wichtigste

Von Annette Jäger

Geht's mit dem Fuß?", fragt Franco Scifo die Dame mit der Gehmanschette, als sie mit schweren Taschen bepackt in den Bus einsteigt. Ja, sie käme gut zurecht - dann grüßen sich die beiden so herzlich, als wären sie alte Bekannte. Sie setzt sich auf den Sitz gleich hinter Franco Scifo, den Busfahrer, da kann sie auch während der Fahrt ein bisschen weiterratschen. Zum Beispiel über Fahrzeiten am Sonntag, da will sie mit dem Enkel nach Planegg in die Bahnhofstraße. Franco Scifo ist einer der Busfahrer der Linie 258, die Lochham, Gräfelfing und Planegg verbindet. Viele seiner Fahrgäste kennt er gut, es sind Stammfahrgäste genauso wie die am Fuß verletzte Dame. Herzlich gegrüßt wird aber jeder, denn: In der Linie 258 redet man miteinander; Franco Scifo liebend gerne mit seinen Fahrgästen und die Fahrgäste untereinander.

Der Kleinbus hat gerade mal zehn Sitzplätze: Also fühlt es sich ein wenig so an, als würde man zu Franco Scifo in seinen Privatwagen steigen. Und er setzt seine Gäste dann auch höchstpersönlich am Ziel wieder ab - er weiß sowieso, wo die meisten aussteigen wollen. "Ich bin der Kapitän wie auf einem Schiff", beschreibt es Scifo. So empfindet das auch Katja Becher, die an der nächsten Haltestelle mit ihrem einjährigen Sohn Lando im Kinderwagen einsteigt. "Mein privates Taxi", nennt sie den Bus, der sie durch ihr Alltagsleben kutschiert. Morgens zur Tagesmutter, dann zur Arbeit, später am Tag einkaufen und dann wieder nach Hause. Man trifft auf Dauer die immer selben Leute, Anonymität gibt es nicht. Und wenn einer fehlt an der Haltestelle, fällt das Scifo gleich auf. Krank oder Urlaub, heißt es dann.

Die Atmosphäre im Bus lädt dazu ein, ins Gespräch zu kommen. Über Politik - in letzter Zeit sind es vor allem die diversen Wahlen -, darüber, was in den Gemeinden so los ist - "Wenn ich da was höre, gebe ich es an meine Fahrgäste weiter" - oder der Ärger darüber, dass schon wieder eine Baustelle zu einer Umleitung führt und der Bus Verspätung hat. Morgens tauschen sich die Schüler über Computerspiele aus und Scifo schnappt einiges auf, womit er nach Feierabend bei seinem 13 Jahre alten Sohn punkten kann. Manche jungen Fahrgäste setzt Franco Scifo auch an der Fahrschule ab - nicht, ohne vorher noch Tipps zu kniffligen Fragen der Führerscheinprüfung gegeben zu haben, etwa über die Doppelbedeutung des Vorfahrtsschildes.

Ein Mann und sein Bus: Franco Scifo weiß gerne, wie es einen Fahrgästen geht. (Foto: Alessandra Schellnegger)

An der Haltestelle vor dem Alten- und Pflegeheim Rudolf-und-Maria-Gunst-Haus in Lochham steigt Elfi Maison ein. Franco Scifo hilft ihr, denn die ältere Dame sitzt im Rollstuhl. Auch sie ist ein Stammfahrgast und versucht Scifo zu überreden, den Rollstuhl in Fahrtrichtung zu platzieren. "Das geht nicht, das wissen Sie doch", sagt Scifo, und es klingt so, als würde er ihr das nicht zum ersten Mal erklären. "Wohin geht es heute?" - "Einkaufen nach Planegg." Manchmal fährt Elfi Maison auch nur zum Spaß eine Runde im 258er: "... damit ich mal rauskomme".

Die Linie gibt es erst etwas mehr als ein Jahr und fährt 29 Haltestellen an. Start ist am Gräfelfinger Bahnhof, Endpunkt ist der äußerste Zipfel in Lochham an der Starnberger Straße am Rapsfeld - überflüssig zu erwähnen, dass Scifo, der dort oftmals sieben Minuten Aufenthalt hat, gerne mit den Anwohnern einen Plausch hält. Die Linie klappert die Bahnhöfe Lochham, Gräfelfing und Planegg ab und steuert damit auch zentrale Ziele für die Bürger an: Rathäuser, Bahnhofstraßen, Wolfartklinik, Waldkirche.

Erstmals ist auch das westliche Gräfelfing, die Villengegend genannt, eingebunden. Das hatte zum Start dieser Linie zu heftigen Beschwerden geführt - viele der Anwohner dort wollten nicht, dass ein Bus durch ihre ruhige Wohngegend fährt. In der Villengegend fahren sowieso alle mit dem eigenen Auto, hieß es. "Das sind die Großkopferten", wirft Elfi Maison an dieser Stelle ein. Manchmal entbrennt an diesem Thema im Bus die Debatte darüber, ob die Linie nun nötig ist oder nicht. Da teilen sich dann die Fahrgäste auf in jene, die den Bus regelmäßig nutzen und auf ihn angewiesen sind und jene, die es nur ausnahmsweise an eine der Haltestellen verschlägt. Und es treffen zwei Welten aufeinander in der Linie 258: "Die Normalverdiener und die Mehrverdiener", so beschreibt es Franco Scifo.

Ganz Gentleman: Franco Scifo ist mehr als nur ein Busfahrer. Das freut auch Elfi Maison immer wieder. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Regelmäßig jedenfalls nutzen den Bus morgens die Schulkinder. Auch viele, die in der Wolfartklinik in Gräfelfing "oder in einem der großen Häuser hier" arbeiten, sind immer dabei. Am späteren Vormittag steigen dann die Älteren ein, auf dem Weg zum Einkaufen oder zum Arzt. Und abends fahren die Berufstätigen wieder zurück nach Hause. Der Bus trägt deshalb viele Namen - "Einkaufsexpress" hat Scifo ihn getauft, aber der Zehnsitzer wird auch zum Mannschaftsbus, wenn er die Fußballjungs zum Training fährt. "Der heißt auch Partybus", wirft der Planegger Auron Osmani aus der letzten Reihe ein. Auch er ist Stammgast und hat schon öfter erlebt, dass sich mancher Fahrgast spontan in ein Gespräch einmischt. Die Led-Leuchten an den Fensterscheiben, die den Bus nachts blau leuchten lassen, haben ihn zum Partybus gemacht, erzählt Osmani. "Schönen Tag" gibt Scifo ihm mit auf den Weg, als Osmani am Gräfelfinger Bahnhof aussteigt.

Apropos Party. Ein Fahrgast erzählte Scifo, dass die Würmtaler Jugendlichen sich einen Nachtbus wünschen, der sie nach langen Nächten in München wieder nach Hause bringt. Das hat Scifo auf die Idee gebracht, dass die Linie 258 doch problemlos für nächtliche Fahrten am Wochenende zum Pasinger Bahnhof verlängert werden könnte. Das will er vorschlagen. "Ich bin immer auf dem Laufenden."

Die Ampel zeigt Grün, Scifo fährt an. Und über seinem Fahrersitz steht zu lesen: "Verboten mit dem Fahrer zu sprechen."

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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