Schmelztiegel:Fremd, und doch vertraut

Lesezeit: 3 min

"Das einzige Viertel, in dem man Großstadtfeeling hat", sagt der Wirt David Metz über die Gegend rund um die Landwehrstraße. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Bahnhofsviertel begegnen sich nicht nur Zugezogene und Alteingesessene, sondern auch unterschiedliche Kulturen

Von Manuel Kronenberg

Beladen mit Kartons und ziemlich verschwitzt kommt David Metz aus der Tür, einer der Betreiber des Kiss. Der 28-Jährige muss noch aufräumen, in einer Stunde öffnet das Lokal. Das Kiss gibt es seit knapp fünf Monaten an der Landwehrstraße, mitten im Bahnhofsviertel zwischen türkischen Gemüseläden, Shisha-Bars und Callshops. Vorbei an einer Moschee geht es in eine schmuddelige Ecke zwischen Küchenfenster und Garagenhäuschen. Dort lagern Getränkekästen. David stellt die Kartons ab, holt leere Bierflaschen heraus und fängt an zu sortieren. Nicht nur bayerisches Bier wird im Kiss ausgeschenkt, auch Raki, Arak und exotische Drinks wie Marrakesch Mule oder Damaskus Daisy. Das passt zum orientalischen Flair des Viertels. "Wir wollen ein Teil von der Hood sein", sagt David. Für ihn ist das südliche Bahnhofsviertel etwas Besonderes, weil es lebendig ist und nicht so gediegen wie anderswo in München. "Es ist das einzige Viertel, in dem man Großstadtfeeling hat", sagt er.

Gegenüber, auf der anderen Seite der Landwehrstraße, sitzt ein türkischer Mann mittleren Alters auf den Treppenstufen vor dem Café Kösk. "Hi", ruft David rüber. Alisan Kiliç, der Inhaber des Kösk, grüßt zurück. Mit den Nachbarn verstehe er sich gut, erzählt David. Auch mit den Türken vom Supermarkt Verdi direkt nebenan. Dort kauft er die Lebensmittel für das Kiss.

Zwischenwelt
:Der Fluch der zwei Heimaten

Eine Bosnierin und eine Türkin über ihr Leben in München

Protokoll von Marlene Mengue

Nur zehn Schritte weiter im Kösk, ist die Wand zur Hälfte mit braunem Holz vertäfelt, darüber hängen in Gold gerahmte Bilder. Kiliç hat sich an einem Tisch mit zwei Männern niedergelassen. Er hält einen Stapel Karten in der Hand. "Ich komme meistens nur am Nachmittag her", sagt der Mann mit dem schwarzen Schnauzbart. Später geht er Taxi fahren, damit verdient er sein Geld. Das Kösk sei ein Verlustgeschäft, wegen der hohen Mieten, sagt Kiliç. Die meisten seiner Gäste spielen Karten, andere Rummikub. Eine Frau schenkt schwarzen Tee aus. Kiliç schaut sich um, und deutet zum Tresen: "Da vorne sitzen drei Deutsche und trinken Bier." Das Kösk ist nicht nur Treffpunkt für Türken, sondern für alle.

Wieder zurück über die Straße, zum Verdi. Vor dem Geschäft auf dem Gehsteig ist ein Gemüsestand aufgebaut. Ein etwas älterer Herr sortiert Obst. Sich mit ihm zu unterhalten, fällt schwer, wenn man kein Türkisch versteht. Er sei zwar schon länger in Deutschland, aber er hat hier nur mit Türken zu tun, gibt er in stark gebrochenem Deutsch zu verstehen. Drinnen an der Kasse zieht ein junger Mann die Waren über den Scanner. Als er eine Handvoll Bratpaprika wiegt, ruft er seinem Kollegen an der Nachbarkasse etwas zu. Offenbar weiß er nicht, wie viel das Kilo kostet. So viel kann man erahnen, auch wenn man die Sprache nicht versteht. Dann wendet er sich an den Kunden. "Macht drei Euro neunzehn", sagt er ohne Akzent. Wer um die Ecke geht, in den Dönerladen "Ocakbasi Grill", wird von der Bedienung gar mit einem "Servus" begrüßt.

Die weniger schönen Seiten des Viertels

Weiter Richtung Osten, Ecke Goethestraße. Die Fußgängerampel leuchtet rot. Auf dem Gehsteig ist fast kein Durchkommen, so viele Menschen warten an der Straßenecke. Hier zeigen sich auch die weniger schönen Seiten des Viertels. An der Straßenecke hält sich eine Gruppe junger Männer auf, ein paar sitzen auf dem Gehsteig. Tagelöhner, hauptsächlich Bulgaren zwischen 20 und 30 Jahren, die auf einen Job warten. Jetzt, am Nachmittag sind es nur eine Handvoll. Frühmorgens sind es deutlich mehr.

Savas Tetik kennt sie alle. Er ist Integrationshelfer beim Infozentrum Migration und Arbeit der Arbeiterwohlfahrt. Viele Bulgaren und Rumänen suchen bei ihm Hilfe; sein Büro ist ganz in der Nähe, an der Sonnenstraße. Hier im Viertel könne man ein paar Tagelöhner sehen, sagt Tetik. Doch das sei nur die Spitze des Eisbergs. "Die wollen auch gerne unsichtbar bleiben. Es wird ja immer über sie geschimpft," sagt er.

Für die Zuwanderer ist dieser sogenannte Arbeiterstrich laut Tetik aber oft auch der erste Schritt in die Gesellschaft. Dabei versucht er zu helfen. "Ich habe den Kampf selbst hinter mir," betont Tetik. In den 1980er-Jahren kam er als Flüchtling aus der Türkei nach München.

© SZ vom 07.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Serie
:Was macht München mit dir?

Das Lebensgefühl junger Menschen in München - wie schaut das aus? Was treibt sie um? Was lieben sie an dieser Stadt? Eine Serie im Lokalteil der Süddeutschen Zeitung sucht Antworten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: