Schilder-Chaos in München:Schilda mit Schildern

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Halteverbot, Fußgängerwarnung und Abbiegepfeil gelten oft nicht mehr. Muss ein Falschparker zahlen, der vor einem alten Schild erwischt wurde?

D. Hutter

Man muss schon genau hinsehen: Die Spitzen der Pfeile sind nicht mehr herzförmig, kleine Mädchen haben keine Zöpfe mehr, dem Mann auf dem Zebrastreifen fehlt der Hut, und statt des klassischen Dampfrosses rauscht eine schnittige Elektrolok heran. Auch Verkehrsschilder sind dem Zeitgeist unterworfen, und so verschwindet das liebgewonnene Design vergangener Zeiten zunehmend aus dem Stadtbild.

Nur: Es dauert, bis das komplette, 2300 Kilometer lange Münchner Straßennetz auf den neuesten Stand gebracht ist - diverse Blechveteranen samt Zöpfen und Hüten haben am Bordstein überdauert. Quasi illegal, denn in der Straßenverkehrsordnung sind diese Schilder nicht mehr vorgesehen. Behörden und ADAC rätseln nun, ob die an solchen Stellen verhängten Bußgelder überhaupt eingetrieben werden dürfen.

"Eigentlich weiß keiner so genau, was da nun rechtlich Sache ist", berichtet ADAC-Rechtsexperte Maximilian Maurer. Einerseits stünden ungültige Schilder am Straßenrand. Andererseits sei aber für jeden klar zu erkennen, was gemeint ist - schließlich sind die Unterschiede zur modernen Tafel-Generation marginal und daher nur bei genauem Hinsehen zu bemerken.

Im bayerischen Innenministerium geht man deshalb davon aus, dass die ausgeschilderte Verkehrsregelung selbstverständlich weiterhin gültig ist. Ob aber auch ein Verwarnungsgeld bezahlt werden muss, "das ist die Frage", räumt Ministeriumssprecher Holger Plank ein.

Die Regel gilt, kann aber nicht geahndet werden? Innenministerium wie ADAC warnen schon einmal vor allzu großer Euphorie anarchisch veranlagter Autofahrer. Denn wer nun hofft, hemmungslos falsch parken und falsch abbiegen zu können, geht auf jeden Fall das Wagnis des Pioniers ein. "Es gibt bislang keine Rechtsprechung dazu", warnt Maurer. Und schließlich haben die meisten Verkehrsregeln, speziell auch die Abbiegegebote, durchaus ihren Sinn.

Das Dilemma ist durch eine Änderung der Straßenverkehrsordnung entstanden. Darin fand sich einst der Passus, dass die Schilder der bereits 1992 aussortierten Zopf-und-Hut-Generation übergangsweise gültig bleiben. Erst wenn die Blechtafel ohnehin ihre Lebenszeit überschritten hat, sollte sie gegen ein modern gestyltes Exemplar getauscht werden.

"Normalerweise hält so ein Schild etwa 15Jahre", schätzt ADAC-Mann Maurer. Und so dachte sich das Bundesverkehrsministerium wohl nichts Böses dabei, als es im Herbst 2009, also nach 17Jahren, die Übergangsregelung ersatzlos kippte. "Mit Zustimmung der Länder im Bundesrat", wie Sprecher Ingo Strater versichert.

Für Kommunen wie München hat dieser Schritt jedoch weitreichende Folgen. Denn strenggenommen hätten von einem Tag auf den anderen die zahlreichen Blech-Oldies, die es tatsächlich noch bundesweit in großer Zahl gibt, ausgetauscht werden müssen. Was natürlich nicht nur umständlich ist, sondern auch viel Geld kostet.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat daher am Montag die Bundesregierung aufgefordert, die Übergangsregelung für ältere Verkehrszeichen sofort wieder in Kraft zu setzen. Es sei doch "absurd", dass die klammen Kommunen statt ins marode Straßennetz in den Austausch eigentlich noch brauchbarer Verkehrszeichen investieren müssten.

Im Münchner Baureferat sah man sich am Montag außerstande, die genaue Zahl veralteter Schilder oder auch die entstehenden Kosten für die Austauschaktion zu benennen. Allerdings würde man es aus finanziellen Gründen sehr begrüßen, wenn der Bund die einstige Übergangsregelung reaktivieren würde, erklärte Sprecherin Nina Lindinger.

Beim ADAC bezweifelt man, dass Kommunalbehörden überhaupt detaillierte Angaben über ihren Investitionsbedarf machen können. Maurer ist überzeugt: "Im Grunde weiß doch kein Mensch, wo diese Schilder überall stehen."

Die Münchner Veteranen dürften sich vor allem in Nebenstraßen und eher in Richtung Stadtrand finden. Denn innerhalb des Mittleren Rings wurde in den vergangenen Jahren durch die Einführung der Parklizenz zumindest ein Gutteil der Halteverbotsschilder (bei denen es auf die Pfeilspitzen ankommt) erneuert.

Speziell das alte Fußgänger- oder Radfahrer-Zeichen taucht aber in Parkanlagen immer wieder auf, und an mancher Baustelle findet sich weiterhin ein Tempolimit mit dem Zusatz "km", der längst ersatzlos gestrichen wurde.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) will das Thema bei der Verkehrsministerkonferenz ansprechen, die am Mittwoch und Donnerstag in Bremen stattfindet. Die Chancen für eine Wiedereinführung der alten Übergangsregelung stehen offenbar gut: Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) will bereits am heutigen Dienstag bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz in Berlin Lösungsvorschläge für die vom Schildertausch gebeutelten Kommunen präsentieren.

© SZ vom 13.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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