Schauspiel:Abends Jude, tagsüber Nazi

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"Vor dem Ruhestand" von Thomas Bernhard hat am 20. April am Residenztheater Premiere. (Foto: Andreas Pohlmann)

Schauspieler Götz Schulte ist am Residenztheater in "Geächtet" ein jüdischer Intellektueller und in "Vor dem Ruhestand" ein begeisterter Nazi. Gar nicht leicht in einer Zeit, in der rechte Parolen wieder salonfähig sind.

Von Christiane Lutz

Nazi-Spielen macht krank. Ein paar Tage vor der Premiere ist Götz Schulte nämlich mächtig erkältet. Ist alles ein bisschen viel gerade: Abends spielt er einen intellektuellen Juden in "Geächtet", tagsüber probt er die Rolle eines Judenjägers. Ziemlich anstrengend. Und emotional verwirrend.

Der Judenjäger, das ist Rudolf Höller in Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand", den Schulte jetzt am Residenztheater spielt. Höller ist ehemaliger KZ-Kommandant und sagt Sätze wie: "Ich hab' nur meine Pflicht getan" und "Ich hab' kein schlechtes Gewissen." Von jüdischen Kindern fühlt er sich provoziert und jedes Jahr zelebriert er den Geburtstag seines Idols Heinrich Himmler. Höller ist, das kann man nicht anders sagen, ein richtig ekliger Typ.

Götz Schulte, 58, gewappnet mit Zitronentee, sagt: "Wenn ich den spiele, muss ich ihn ja schon irgendwo lieben. Man steigt ja ein in die Psychologie der Person." Ist es nicht ungeheuer lästig, sich als Schauspieler auch in einen solchen Menschen einfühlen zu müssen? "Ich frage mich halt immer: Wie wurde der so? Es gibt viele, die sich ihre eigene Welt zusammenbauen, im Keller oder im Kopf. Bei Höller ist die Situation zugespitzt, trotzdem macht es natürlich Spaß, den Typen in all seiner Kaputtheit zu spielen."

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Zugespitzt ist Höllers Situation deshalb, weil er mit seinen Schwestern in einem Keller haust. Die eine, Clara (Charlotte Schwab), sitzt im Rollstuhl und hasst ihn. Mit der anderen, Vera (Gundi Ellert), steigt er regelmäßig ins Bett. Inzest als ultimative Maßnahme zur Erhaltung der Rassenreinheit also. Gemeinsam sinnieren sie über Sittenverfall, verursacht durch die Amerikaner, und frönen ihrem Judenhass. Höller stirbt am Ende, im Himmler-Wahn.

"Vor dem Ruhestand" wurde 1979 am Stuttgarter Staatstheater uraufgeführt. Eine Anklage an Alt-Nazis, die nach dem Krieg ohne Strafe davongekommen sind und sich Karrieren erarbeiten konnten. Anlass war die Filbinger-Affäre: Der damalige Baden-Württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger war 1978 zurückgetreten, nachdem sein Verhalten während des Nationalsozialismus öffentlich wurde. Filbinger hatte als Militärrichter vier strittige Todesurteile beantragt und gefällt.

Pegida und die Wahlen in Österreich machen das Stück nochmal aktueller

Die meisten dieser Alt-Nazis sind inzwischen tot. "Wenn ich mir aber die Wahlen in Österreich anschaue und Pegida demonstrieren sehe, denke ich mir: Das sind genau die gleichen Leute wie damals", sagt Schulte. Parolen, die Höller nur im Keller von sich geben darf, haben es wieder auf die Straßen und in Parteiprogramme geschafft. "Höller sagt ja: Die Zeit arbeitet für uns, wir werden uns bald wieder zeigen können." Seine düstere Prognose ist traurige Realität geworden. Deshalb hat sich Regisseurin Tina Lanik entschieden, das Stück im Heute spielen zu lassen.

Götz Schulte beschäftigen die Fragen nach Verantwortung und Schuld im Nationalsozialismus. In seiner Familie wurde, wie in so vielen, "nie darüber gesprochen". Er reist gern und oft nach Israel, fühlt sich aber stets befangen, wie er sagt. "Es gibt ja Menschen meiner Generation, die frei von Schuldgefühlen sind. Ich nicht. Gar nicht." Obwohl er nie einen Einfluss auf das Geschehen hatte. Aber wer weiß schon mit Sicherheit, wie er gehandelt hätte, damals? "Ich hab' keine Ahnung, wie man mit diesen Gefühlen umgehen soll."

So tut Schulte eben das, was sein Job ist: Er schaut sich die Welt genau an, die Pegida-Demonstranten, die Rechten, und versucht, ihre kruden Weltbilder irgendwie menschlich begreifbar zu machen. Damit der Zuschauer vom Grauen für die Zukunft lernt.

Vor dem Ruhestand , Premiere am Samstag, 30. April, 19.30 Uhr, Residenztheater

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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