Leichter Föhn weht am Dienstag über München, die Temperaturen erreichen zweistellige Werte, ohne ein Minus davor. Und wer im Norden der Stadt kurz vor der Olympia-Regattaanlage auf einer Anhöhe Richtung Süden blickt, der meint, dass sich die Zugspitze gleich hinter den letzten Häusern erhebt. So nah wirkt sie.
Ideale Bedingungen sind das für die Ruderer und Kanuten auf dem 2,2 Kilometer langen Kanal. Doch das Eis, das sich in den frostigen Nächten am Rand des Wasserbeckens gebildet hatte, verwehrt ihnen noch den Zugang zum Becken. Erst am Mittwoch durften dann die Kaderathleten wieder ins Wasser, Amateur- und Freizeitsport ist wegen Corona auch auf der Regattastrecke noch nicht erlaubt.
Stattdessen spaziert ein kleines Grüppchen an der Strecke entlang. Die Landtagsabgeordneten der Grünen, Claudia Köhler, Markus Büchler und Max Deisenhofer, sind ebenso dabei wie deren Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze und Bundestagsmitglied Erhard Grundl. Sie wollen sich beim Ortstermin ein Bild machen von der sanierungsbedürftigen Anlage, die 1972 Schauplatz der Ruderwettkämpfe der Olympischen Spiele war und seit 2018 unter Denkmalschutz steht.
1972 wurde hier um olympisches Gold gerudert, seither verfällt das Gelände zusehends
Willi Bock, dessen Verein Rudergesellschaft München 1972 hier zu den Gründungsmitgliedern zählt, und der sich seit Jahren für die bröckelnde Anlage einsetzt, empfängt die politische Delegation an der Schranke und läuft mit ihnen ein paar Schritte zum Parkplatz vor den 38 Bootshallen, in denen die rund 1100 Ruder- und Kanuboote der zwölf ansässigen Vereine ruhen. "Ein Vermögen", sagt Bock, "ein einziger Rennachter kostet 40 000 Euro." Dann macht er den Kofferraum seines Autos auf und zeigt Schulze und den anderen ein gerahmtes XXL-Foto: WM 1981, Zieleinlauf, eine berstend volle Tribüne. Peter-Michael Kolbe gewann damals, vor 40 Jahren, Gold im Einer für die Bundesrepublik.
Viel Gras ist über die Erfolge von damals im Münchner Norden gewachsen, auch über den Olympiasieg des Vierers mit Steuermann 1972. Hans-Johann Färber saß damals im deutschen Boot, das ehrfürchtig Bullenvierer genannt wurde, weil die Athleten darin nichts anderes waren. Die Regattastrecke in Oberschleißheim war ausverkauft, doch der Andrang von Besuchern ohne Eintrittskarte war so groß, dass die Zäune nicht standhielten.
Das Gras, das inzwischen vor und auf und in den Ritzen der Tribüne wächst, ist aber nicht das größte Problem. Denn die Anlage ist nett gesagt nicht mehr auf neuestem Stand. Sanitärbereiche, Technik, oder Unterkünfte etwa versprühen den Charme der Siebziger. Seit vielen Jahren wird um die Sanierung der Anlage gezankt, 2014 sollte sie noch um die 40 Millionen Euro kosten, der Entwurf wurde vertagt. Vier Jahre später wurde das gesamte olympische Areal unter Denkmalschutz gestellt, weshalb die Stadt ihre Pläne zum Teilabriss der Tribüne begraben musste.
Im Herbst 2019 wurde beschlossen, die Anlage für 100 Millionen zu sanieren. Dann kam Corona und alles wurde gecancelt
Im Herbst 2019 gelang der große Wurf, 61 Millionen Euro für den ersten Bauabschnitt, um die 40 Millionen für den zweiten. Dann kam Corona. Im Sommer 2020 wurde die Sanierung komplett gestrichen. Nach aktuellem Stand investiert die Stadt nun neun Millionen Euro, um die Strecke wenigstens zu den European Championships 2022 aufzuhübschen. Dann geht es um EM-Gold im Rudern und Kanu.
Dann sollen vermieden werden, dass sich Passanten eine Blutvergiftung holen und dann auch noch einen Prozess anstrengen, weil sie sich an Holzsplittern auf den maroden Stegen verletzt haben. Alles schon vorgekommen.
Bock läuft mit den Politikern nun an den Bootshallen vorbei, die eher Garagen sind, von denen die Farbe abblättert. Mit der Photovoltaikanlage auf dem Dach verdient die Stadt immerhin recht gut. Dann weiter zur Tribüne, unter deren Dach Räume wegen des Brandschutzes leer stehen. In einem hat ein Faschingsverein noch seine Kostüme liegen, die wurden am Rosenmontag ja nicht gebraucht. In andere, die man noch nutzen kann, wie den Ergometer-Raum für Schlechtwettertage, regnet es hinein, Eimer fangen am Boden das Wasser auf. "Ich finde es eine Schande, wenn man das hier sieht", sagt Köhler, die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag, "auch für den Freizeit- und Leistungssport."
Seit sich Bund und Freistaat aus der Finanzierung genommen haben, trägt München den Unterhalt allein
Hinten der Verfall - vorne der stolze Zielturm, der aber auch für die Zuständigkeitsprobleme steht. Denn südlich davon fängt die Stadt München an, Bezirk Feldmoching-Hasenbergl. Nördlich die Gemeinde Oberschleißheim. Wer für die Anlage zuständig ist? Gute Frage.
München trägt die Unterhaltskosten alleine, seit sich Bund und Freistaat aus der Mitfinanzierung genommen haben. Aber für die Sanierung von Spitzensportbauten sieht sich die Stadt nicht zuständig. Bund und Freistaat auch nicht, weil es an der Regattastrecke kein Bundes- oder Landes-Leistungszentrum gibt. "Ich dachte, diese starre Denke ist überholt", sagt Schulze, "das hier wird doch gemeinsam genutzt." Vom Bezirk Oberbayern kommen immerhin ab und zu ein paar Euro Unterstützung. Und der Landkreis München? Die Grünen wollen demnächst einen Antrag stellen bezüglich der Zuständigkeit, für Markus Büchler "ist auch der Freistaat in der Pflicht".
Genutzt wird die Anlage jedenfalls von rund 40 Kaderathleten und weiteren Leistungssportlern, von Freizeitkanuten und -ruderern, von Stand-up-Paddlern, Joggern, Triathleten, Beachvolleyballern, Bungee-Springern, Inlineskatern, Sonnenanbetern, Partyvolk, Anglern und vielen mehr. Kurzum: Die Olympia-Regattaanlage ist zu einem riesigen Freizeitareal geworden, samt Badesee. Auf dem übrigens auch Färbers Enkel Oliver Zeidler trainiert, der 2019 in die Fußstapfen des Großvaters trat, als er selbst Weltmeister im Einer wurde. Auf einer Strecke bei Linz allerdings, nicht bei München.
Für die European Championships wird die Anlage für neun Millionen Euro aufgehübscht
Immerhin soll bei München in diesem Frühjahr die Junioren-Europameisterschaft stattfinden, 2022 dann die European Championships, 2024 ist ein Weltcup geplant. Alles Weitere liegt auf Eis. Eine planbare Zukunft im Spitzensport gibt der Neun-Millionen-Euro-Zuschuss der Stadt nicht her. "Es muss klar sein, dass das nicht reicht, dass es weitergehen muss mit mehr Investitionen", sagt Willi Bock, der Vereinsvorstand. "Und dass die Nutzer der Anlage mal gefragt werden, was sie wirklich hier benötigen." Die Kommunikation seitens der Stadt sei da bisher eher dürftig gewesen.
Bock ist stolz und wehmütig zugleich, er liebt das grünlich schimmernde Becken, diesen Grundwassersee, der durch mehrere Quellen gespeist wird und auf dem nicht wenige Athleten ohne Trinkflasche trainieren, weil sie das Wasser hier genauso bedenkenlos trinken können wie jenes aus der Leitung. Selbst dem Wels, der hier lebt, ein mächtiger Fisch, haben sie verziehen, als er mal eines ihrer Boote rammte.
Der Wels ist das geringste Problem für die Ruderer und Kanuten.