S-Bahn:Immer schön locker bleiben

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Wie Mitarbeiter der DB Sicherheit in einem Situationstraining lernen, mit renitenten und aggressiven Fahrgästen umzugehen

Von Ann-Kathrin Hipp

Ein x-beliebiger Tag in der Münchner S-Bahn: Unter feiernde Fußballfans, streitende und stille Fahrgäste mischen sich zwei Mitarbeiter der DB Sicherheit. Fahrkartenkontrolle. Plötzlich zückt ein Mann ohne Fahrschein ein Teppichmesser und bedroht die Sicherheitskräfte. Sofort setzen sie ihr Pfefferspray ein, mit einem Schlag auf das Handgelenk können sie den Angreifer entwaffnen. Er wird zu Boden gebracht und bekommt Handschellen angelegt.

"Jetzt hab ich leider abwehren müssen", sagt Turan Oguz. Der 39-Jährige ist einer von zehn Sicherheitskräften, die an SIT teilnehmen, einem Situationstraining, das Mitarbeiter der DB Sicherheit GmbH auf brenzlige Momente im Arbeitsalltag vorbereiten soll. In zwei Szenarien lernen sie, Gefahrensituationen zu entschärfen und sich selbst zu verteidigen. Dabei ist der Schlagstock aus Styropor, das Messer aus Plastik, das Pfefferspray leer - und der vermeintliche Angreifer selbst Mitarbeiter.

Tatsächlichen kommen die Notwehrinstrumente nur sehr selten zum Einsatz. In dreizehn Dienstjahren habe er das Spray und den Stock nicht einmal benutzt, erzählt Oguz. "Handschellen angelegt habe ich vielleicht sechs Mal", ergänzt er. Man solle ja immer das kleinste Mittel wählen. Doch auch wenn lebensbedrohliche Situationen selten vorkommen, es gibt sie trotzdem. "Der Angriff mit dem Teppichmesser ist wirklich passiert. Drei Mitarbeiter wurden damals in Frankfurt schwer verletzt", berichtet Dennis Rauch. Als Fachkraft für Aus- und Fortbildung leitet der 51-Jährige das Training.

An sechs Arbeitstagen im Jahr werden die Mitarbeiter der DB Sicherheit geschult. Neben konkreten Verhaltensmaßnahmen lernen sie auch Kommunikationsstrategien und Rechtsgrundlagen. Was dürfen sie, was dürfen sie nicht? Die Sicherheitskräfte kontrollieren Fahrscheine, halten Ausschau nach Sachbeschädigungen und sorgen auch sonst für Sicherheit und Ordnung. Hilfspolizisten oder mit hoheitlichen Rechten ausgestattet sind sie nicht. Die Rechtsgrundlagen entsprechen den Jedermannsrechten: Notwehr, Selbstverteidigung und vorläufige Festnahme zur Feststellung der Personalien.

Seit dem vergangenen Jahr hat die Deutsche Bahn die Personalpräsenz insbesondere an großen Bahnhöfen erhöht. 3700 Mitarbeiter sind derzeit im Dienste der Sicherheit unterwegs. Zu erkennen sind sie an ihrer dunkelblauen Dienstkleidung und der Schirmmütze. "DB Sicherheit" ist rot umrahmt auf ihrem Rücken zu lesen. Dazu der breite, schwarze Gürtel an dem sie unter anderem Handschellen, Schlagstock, Pfefferspray, ein Erste-Hilfe-Set und das Fahrkartenkontrollgerät tragen.

Mit den intensiveren Kontrollen nahmen auch die Angriffe auf Mitarbeiter zu. Spucken, schubsen, schlagen: 1500 Mal wurden Sicherheitsangestellte, Zugführer oder Ticketkontrolleure 2014 Opfer von Körperverletzungen, so oft wie nie zuvor. In sieben von zehn Fällen richteten sich die Aggressionen gegen Mitarbeiter der DB Sicherheit. Die brenzlige Situation kommt für sie häufig überraschend, meist bei einfachen Fahrkartenkontrollen.

Wo tagsüber ein Gefühl von Sicherheit herrscht, weil Familien, Geschäftsleute oder junge Paare in der Bahn sind, kann abends schnell ein Gefühl von Unsicherheit auftreten, wenn man alleine ist. Deshalb nimmt die Anzahl der Streifen von der Frühschicht bis zur Spätschicht kontinuierlich zu. Insgesamt 50 Teams aus je zwei Sicherheitsleuten sind in München täglich unterwegs. "Wenn man merkt, dass man mit jemandem nicht klar kommt, kann der Partner übernehmen, das ist gut", sagt Turan Oguz. Sie helfen sich gegenseitig, Gefühle unter Kontrolle zu bringen, bestätigt auch Dennis Rauch. "Gerade Gefahrensituationen führen zu einem Adrenalinstoß, da muss man aufeinander achten", sagt er. Meist geht es jedoch um kleinere Delikte: Wenn Leute rauchen, die Leinenpflicht für Hunde missachten oder ihre Füße auf die Sitze legen. "Da reagiere ich ganz allergisch drauf", sagt Oguz. Dazu kommen die zahlreichen Schwarzfahrer, die zwar nicht aggressiv werden, aber gerne diskutieren.

Neue Szene, Rollenwechsel. Diesmal darf Olguz den Übeltäter spielen. So schlimm wie sein Vorgänger ist er allerdings nicht. Der 39-Jährige gibt einen etwas anstrengenden Fahrgast: Keine Lust ein Ticket zu kaufen, dafür umso größere Lust auf Diskussionen. Wohin er will, weiß der Schwarzfahrer nicht, ausweisen kann er sich auch nicht. Und einfach aussteigen? Niemals. Der 39-Jährige spielt seine Rolle durchaus überzeugend. Er kennt seine Klientel. "Solche oder ganz ähnliche Situationen kommen in jeder zweiten S-Bahn vor", sagt er. Da hilft nur: locker bleiben. Und wie das geht, wurde zur Genüge trainiert.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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