Russendisko in München:Wo Genosse Wassermelone rockt

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Mit singenden Schwiegermüttern und zukünftigen Bundeskanzlern probt der Berliner Autor Wladimir Kaminer die Völkerverständigung in München.

Anna Fischhaber

Seit Jahren hat Wladimir Kaminer eine Mission: Der russische Autor will die Menschen in Deutschland zu Musik aus seiner Heimat zum Tanzen bringen. Zahllose Bücher hat er über die russische Seele geschrieben. "Russendisko? Aus Berlin? Wieso ladet ihr nur so was ein?" wunderte sich noch vor einigen Jahren der Polizeisprecher in Hannover. "Neulich hatten wir hier doch schon eine Russendisko in der Tiefgarage: zwei Tote, sieben Verletzte." In Göppingen schaltete sich das Ordnungsamt ein, nachdem der Veranstalter die halbe Stadt mit Lenin-Plakaten tapeziert hatte.

Neue Texte und altbekannte Klänge: Russendisko mit Wladimir Kaminer. (Archivbild) (Foto: Foto: AFP)

In München verläuft an diesem Samstagabend dagegen alles ruhig. Längst ist aus der russischen Subkultur, die das Kaffee Burger in Berlin legendär machte, Kult geworden. Mit seinen zwölf Büchern und dem ihm eigenen schrägen Humor hat Autor Kaminer es geschafft, eine andere Seite seiner Heimat zu vermitteln. Während man sich noch über Nachrichten von Putin und russischen Großmachtambitionen wundert, wird vor der Reithalle in Neuhausen die Schlange immer länger. Rund 500 Menschen, die meisten um die 30, sind gekommen, um Kaminer und seine Russendisko live zu erleben.

Der Wahlberliner enttäuscht sein Publikum nicht. Nicht umsonst gilt er als Popstar unter den Schriftstellern. Als er die Bühne betritt, braust Applaus auf. Mit seinem hautengen Russendisko-Shirt hüpft der 41-Jährige auf der Bühne auf und ab. Immer wieder unterbricht er die Lesung, um in seinem unverkennbaren Akzent Anekdoten aus dem Leben eines russischen Berliners zu erzählen. Der Autor sucht den Kontakt zu den Zuschauern - und rettet damit den Abend.

Glück gibt es bei der Post für 30 Rubel

Im Gegensatz zu seinen Entertainerqualitäten sind die Geschichten, die das Münchner Publikum zu hören bekommt, nämlich zunächst etwas lahm. Mit "unveröffentlichten Texten von Kaminer" hatten die Veranstalter geworben. Und so hantiert der Autor mit zahlreichen Zetteln auf der Bühne herum - und scheint sich bald selbst nicht mehr auszukennen. Hauptthema ist einmal mehr die eigene Familie. Wie schon in seinen zwölf vorangegangenen Büchern verbirgt Kaminer die autobiografischen Züge seiner Geschichten nicht.

Diesmal steht die singende Schwiegermutter aus dem Kaukasus im Mittelpunkt. Die Zuschauer erfahren wenig über den Krieg und dafür viel über die geschlechtsspezifischen Unterschiede von russischen Wassermelonen, was deutscher Spargel mit Kapitalismuskritik zu tun hat und warum der Osten eine Schwäche für einfache Lösungen hat. Glaubt man Kaminer, wachsen im Kaukasus die Schweine dank eines Wundermittels über Nacht. Und während man im Westen einen Ratgeber nach dem anderen für ein erfülltes Leben wälzen muss, ist das Glück dort bei der Post käuflich - in Form einer Wurzel für nur 30 Rubel.

Endlich zückt der Autor auch sein neues Buch "Salve Papa!". Zu komisch sind die Geschichten, die Papa Kaminer mit seinen Kindern in der deutschen Schule erlebt hat. Mit Erziehungsaktivisten, Maleltern und dem zukünftigen Bundeskanzler Karl-Friedrich, acht Jahre alt, hat Kaminer darin zu kämpfen. Dem Autor macht die Lesung sichtlich Spaß. Mehr als zwei Stunden dauert es, bis Kollege Jurij Gurzhy ans DJ-Pult gerufen wird und die eigentliche Party beginnen kann.

Stühle werden gerückt, im Hintergrund flimmert nun die russische Version von Schneewittchen über die Leinwand. Aus den Boxen tönen bekannte und weniger bekannte Gitarrenklänge aus dem Osten. Dennoch dauert es eine Weile, bis sich die ersten Gäste auf die Tanzfläche wagen. Vor der Bühne sammeln sich ein paar junge Russinnen mit ziemlich kurzen Röcken, von Chaos jedoch keine Spur. Auch der Wodka fließt in Maßen, dabei tragen die Barkeeperinnen extra enge Shirts mit dem Label Russendisko - statt der Revolution regiert in der Reithalle der Konsum.

Kaminer selbst macht sich bald rar. Wahrscheinlich schreibt er bereits an der nächsten Geschichte. Zum Beispiel über die vielen Münchner, die am Volkstrauertag den nie erlebten Sozialismus feiern und dabei brav kommunistische Hymnen summen.

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