Rollstuhlbasketball:Lernen vom Drahtzieher

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Die Iguanas München starten Ende Oktober in ihre Saison - mit dem ehemaligen Nationalspieler Sebastian Magenheim als neuem Trainer.

Von Sebastian Winter, München

Fingerzeig nach Tokio: Für Laura Fürst (li.) und Johanna Welin (re.) sind die Paralympics 2021 ihr wohl letztes großes internationales Turnier. (Foto: JOERGENSEN.COM)

Laura Fürst hat vieles gemacht, um sich fitzuhalten in diesem Sommer. Sie fuhr Handbike, paddelte mit ihrem Board auf dem Eibsee, schwamm. Ihre eigentliche Passion, Rollstuhlbasketball, darf sie als Nationalspielerin auch längst wieder ausüben. Und ihr Klub, die München Iguanas, hat Mitte Juli langsam wieder mit dem Training begonnen, nachdem die strengen Regelungen für den Sport auch in Bayern mehr und mehr gelockert wurden. "Es tut gut, wieder Mannschaftssport zu machen", sagt die Münchnerin Fürst, die im Sommer als Bayerns Behindertensportlerin des Jahres ausgezeichnet wurde. Damals hatte sie noch individuell trainiert, "Nutzen und Risiko abgewogen", wie Fürst hinsichtlich der Ansteckungsgefahr mit dem Virus sagt.

Die Iguanas haben Ende Juli auch wieder für die Bundesliga gemeldet, was nicht selbstverständlich ist in dieser Ausnahmesituation. Kurz zuvor hatten sich die Roller Bulls aus Belgien aufgelöst, der Ligakonkurrent der Iguanas konnte sich bedingt durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie die höchste Spielklasse nicht mehr leisten. Die Münchner hingegen planen ihre neue Saison, die ursprünglich am 26. September mit einem Heimspiel gegen Hamburg beginnen sollte. Nun ist sie verschoben, auf 31. Oktober, wenn kein neuer Lockdown kommt.

Die alte Saison rumpelte für die Iguanas so dahin, die Münchner mussten als Tabellen-Drittletzter schließlich in die Playdowns. Das erste Spiel dort verloren sie gegen die Roller Bulls, das zweite gegen die Dolphins aus Trier. Es sah gar nicht gut aus für das Team von Trainer Benjamin Ryklin. Dann kam der coronabedingte Abbruch - und die Iguanas waren gerettet, weil die restlichen Spiele abgesagt wurden. Auch für Fürst begannen unwägbare Wochen, denn die 29-Jährige wollte in diesem Sommer eigentlich an den Paralympics teilnehmen, wie die zweite Iguanas-Nationalspielerin Johanna Welin. Nach 2016 in Rio de Janeiro, wo sie Silber gewannen, wären es die zweiten Spiele für Fürst gewesen. Für Welin die dritten, sie hatte 2012 bereits Gold in London gewonnen. Doch Tokio ist nun ein Jahr verschoben, alle Länderspiele bislang abgesagt. Die kommende Saison mit den Iguanas ist also auch ein Neustart für Fürst und Welin, die im vergangenen Herbst zum zweiten Mal Mutter wurde, sich auf die Paralympics 2021 in Japan vorzubereiten.

Das Vereinstraining ist momentan die eine Konstante in Fürsts Leben, die andere ist ihr Job. Die 28-Jährige ist seit eineinhalb Jahren Entwicklungsingenieurin bei BMW, ein zehrender Vollzeitberuf. Alles unter einen Hut zu bringen, fällt ihr nicht leicht, "diese Doppelbelastung werde ich nicht mehr so lange machen", sagt sie selbst. Welin geht es ähnlich, neben ihren Aufgaben als Mutter stemmt sie noch ein Medizinstudium, das sich in den letzten Zügen befindet. Nach Tokio könnte Schluss sein mit ihren Sportkarrieren, die ja inzwischen auch reich sind an Höhepunkten. Bei Fürst ragt neben Paralympics-Edelmetall der EM-Sieg 2015 heraus, außerdem 2014 WM-Silber, 2018 WM-Bronze, dazu 2017 EM-Silber und 2019 EM-Bronze. "Paralympics- und WM-Gold fehlen mir noch", sagt Fürst augenzwinkernd.

Der neue Trainer: Sebastian Magenheim. (Foto: Claus Schunk)

Ihr künftiger Trainer dürfte diesen Traum forcieren. Denn Sebastian Magenheim, der Welin Lebensgefährten Benjamin Ryklin bei den Iguanas ersetzt, weil dieser sich mehr auf die Vorstandsarbeit konzentrieren möchte, ist selbst langjähriger Nationalspieler gewesen. Er war bei den Paralympics 2012 und 2016 dabei, für eine Medaille mit den deutschen Männern hat es aber nicht gereicht. Inzwischen lebt und arbeitet Magenheim in Augsburg. "Er hat jetzt eine neue Rolle und richtig Lust drauf", sagt Ryklin, unter dem Magenheim bei den Iguanas bis 2019 als Kapitän aktiv war: "Ich bin sehr froh, dass ein kluger Beobachter, Drahtzieher und auch Pädagoge wie er meine Idee angenommen hat und bereit ist, die Mannschaft von der Seitenlinie zu führen. Basti wird das Heft zu hundert Prozent in die Hand nehmen."

Neben Welin und Fürst kann Magenheim auf weitere Konstanten bauen: Topscorer Kim Robins ist wie Florian Mach, Gabriel Robl und Bastian Kolb weiterhin im Kader. Außerdem verlegt Junioren-Nationalspieler Urs Rechtsteiner seinen Hauptwohnsitz nun endgültig nach München. Neu hinzukommen werden Nikolai Sommer (Salzburg), Salih Sakak (Iguanas II) - und Tim Peisker. Der Fußgänger Peisker hat früher bei den Basketball-Junioren des FC Bayern München gespielt, aber nach fünf (!) Kreuzbandrissen war seine Karriere vorbei. Nun fährt er als 4,5er, wie wenig oder gar nicht beeinträchtigte Spieler im Rollstuhlbasketball wegen ihrer Klassifizierung heißen, bei den Iguanas mit.

Verabschiedet haben sich die Münchner von Ziv Eliyahu, der auch deshalb nach Israel zurückgekehrt ist, weil er inzwischen Teil der dortigen Nationalmannschaft ist. Auch der Neuseeländer Eamon Wood hat die Iguanas in Richtung Heimat verlassen. Trotzdem erwartet Ryklin eine eingespielte Münchner Mannschaft, die in der Liga bestehen soll - jedenfalls besser als in der vergangenen Saison. Vielleicht gelingt es den Iguanas ja sogar, im kommenden Jahr das Finalturnier der Euroleague auszurichten. Das war schon fürs vergangene Frühjahr ihr Plan, sie waren als Ausrichter gesetzt. Bis Mitte März jeglicher Sport zum Erliegen kam. Eine Endrunde auf hohem internationalen Niveau: Dem ehrgeizigen Neu-Trainer Sebastian Magenheim würde das gefallen. Und eine gute Generalprobe für Laura Fürst und Johanna Welin vor ihrem wohl letzten großen Turnier in Tokio wäre es sowieso.

© SZ vom 15.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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