Roberto Benigni in der Philharmonie:Ohne Punkt und Komma

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Ein Oscar-prämierter Clown liest Dante: Italien ist wie benebelt, aber die deutschen Hochfeuilletons strafen Roberto Benigni großteils mit Nichtachtung. Schade eigentlich.

Martin Zips

Man möchte dieses Phänomen begreifen, doch so richtig kann man es nicht. Da hat seit drei Jahren in Italien ein Komiker mit der Rezitation von Texten des mittelalterlichen Dichters Dante großen Erfolg: Auf historischen Plätzen, in antiken Theatern, im Fernsehen, auf DVD.

Roberto Benigni deutet und zitiert Gesänge des italienischen Nationaldichters Dante. (Foto: Foto: afp)

Der Mann, Roberto Benigni heißt er, stellt sich alleine auf die Bühne - ohne Effekte, ohne Orchester - deutet und zitiert Gesänge des italienischen Nationaldichters. Die Moral des aus Florenz vertriebenen Dante, die Interpretation eines linken, berlusconikritischen Spaßmachers - Italien ist wie benebelt. Nun ist Benigni mit "Tutto Dante" auf Welttournee, am Donnerstag war in München Deutschlandpremiere in einer noch nicht einmal halbvollen Philharmonie, was nicht verwundert. Erstens wurde dieses "Spektakel in italienischer Sprache" kaum beworben, aus welchen Gründen auch immer.

"Ich möchte euch alle umarmen"

Zweitens bestrafen selbst die Hochfeuilletons Benigni mit Nichtachtung: Reden in ihrer Heimatsprache halten, das dürfen in großen deutschen Hallen eigentlich nur Obama und Erdogan. Was also will dieser Clown, der viele peinliche Filme gedreht hat und einst bei Steven Spielberg auf die Schultern kletterte, bloß weil seine Komödie "Das Leben ist schön" mit drei Oscars ausgezeichnet wurde?

Nach "Grüß Gott, meine Freunde. Ich möchte Euch alle umarmen" ist dann auch tatsächlich Schluss mit Deutsch - es gibt weder Ober- noch Untertitel, dazu ist seine Bühnenshow zu flink, zu assoziativ, zu spontan. Ebenso wie die Dantesche Komödie aus drei Teilen (Hölle, Fegefeuer, Paradies) besteht, dreiteilt auch Benigni seinen Abend.

Am Anfang steht das politische Kabarett: Der 56jährige beglückwünscht das Münchner Publikum, in der "reichsten Stadt Italiens" leben zu dürfen. Während sie hier einfache Arbeiten verrichteten, hätten die Italiener ihrerseits einem Deutschen einen guten Posten im Vatikan besorgt. In seiner liebenswürdigen, aber beissenden Art spottet Benigni über Berlusconi ("wegen ihm hörte ich auf, ein Komiker zu sein. Er ist einfach der Beste").

Nie habe der Ministerpräsident seine Show besucht, im Gegensatz zu dem greisen Ex-Regierungschef Andreotti, "dem einzigen noch lebenden Zeitgenossen Dantes". Mit dieser Art von Witzen hat er schnell den ganzen Saal, der mittlerweile von den billigen hinteren Sitzen auf die teureren weiter vorne gewechselt ist, sofort auf seiner Seite.

Bild- und pointenreich

Es ist ein Johlen und Applaudieren, das in Deutschland kein Ben Becker samt der Heiligen Schrift und kein Loriot samt Wagner hinbekommt. Dabei hat sich Benigni - vor allem ab dem zweiten Teil des Abends - ganz und gar der Bildung verschrieben.

Ohne Punkt und Komma erzählt er von Savoyen-Königen, machthungrigen Päpsten, von Minotaurus, Jesus und Albertus Magnus - dieser Abend ist so schnell, so bild- und pointenreich, dass manch einer, der glaubte bei seinen Besuchen der Italienisch-Kurse in der Volkshochschule ein echter Südländer geworden zu sein, bitter bestraft wird.

Die Gänze seiner kaskadenartigen Metaphern versteht wahrscheinlich nur der, der südlich der Alpen groß geworden ist. Die Diaspora im Saal aber feiert sich, ihren Dichter und ihren Komiker - lauscht ergriffen der von Dante überlieferten Legende von Paolo und Francesca, die sich verbotenerweise leidenschaftlich ineinander verliebten, weshalb sie in der Hölle neben den schlimmsten Sündern schmoren. Da und dort schlägt Benigni eine Brücke zur heutigen Zeit, streut hier ein bisschen George Clooney, dort ein bisschen Finanzkrise ein, wandelt sich dann wieder zu einem Prediger christlicher Werte wie Nächstenliebe, Respekt und Mitleid.

Sein Publikum klebt ihm an den Lippen - als könnten sie es selber nicht fassen, dass vor ihnen der Mann steht, der als Taxifahrer in Jim Jarmuschs Episodenfilm "Night on Earth" einen katholischen Priester mit seinen Sex-Beichten ums Leben bringt. Im dritten und letzten Teil des Spektakels schwelgt Roberto Benigni bei der Rezitation des fünften Gesangs, in der wunderbaren, melodiösen Sprache des Dichters, "dessen Werke zum großartigsten gehören, was das Mittelalter zu bieten hat".

In einer Zeit, da überall alles verflache, sagt er, solle man dankbar sein für Kunst, die man im ersten Moment noch nicht verstehe, sich aber selbst erarbeiten könne. Am Ende scheint der Komiker mit Dante und dessen Mitleid mit allen geschundenen Höllenwesen selbst zu verschmelzen. Es versagt ihm - Höhepunkt der Show - die Stimme. Ovationen.

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