Reisebüro für Gehörlose:Schau, die Welt!

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Damit auch Gehörlose einfacher Reisen buchen können, haben die Brüder Manuel (links) und Julian Facchin ihr Reisebüro deaftravel gegründet. (Foto: Catherina Hess)
  • Julian und Manuel Facchin betreiben in München ein Reisebüro für Gehörlose.
  • Sie wollen Gehörlosen barrierefreies Reisen ermöglichen und bieten darum Touren an, die von Gebärdendolmetschern begleitet werden.
  • Sie kennen sich aus in der Welt der Menschen, die nicht hören können: beide Eltern sind taub.

Von Sophie Burfeind

Lange Zeit konnten Julians Eltern nur davon träumen. Prächtige Paläste in fernen Ländern zu bestaunen, beeindruckende Gemälde zu sehen oder durch antike Tempelanlagen zu wandern. Niemand hätte ihnen das Fremde erklären können. Für die meisten Menschen ist es selbstverständlich, sich mit Führungen oder Audioguides die Welt erklären zu lassen, für Julians Eltern war es das nie. Sie sind taub.

Deswegen verkaufen Julian Facchin, 28, und sein Bruder Manuel, 32, jetzt Reisen für Gehörlose. Die Wände ihres sonnendurchfluteten Büros zieren Bilder von Hängematten vor weißem Sandstrand, von der Decke baumeln Banner mit Last-Minute-Reisen auf die Balearen oder in die USA. Am liebsten würde man sofort packen und wegfliegen, wie immer im Reisebüro.

Mühsame Erfahrungen

Julian Facchin sitzt an seinem Schreibtisch. Er ist mittelgroß, sportlich, hat blonde kurze Haare und blaue Augen, er trägt ein hellblaues T-Shirt mit dem Logo von deaftravel - so heißt das Reisebüro für Gehörlose. Wenn er von dem kleinen Unternehmen erzählt, strahlt er, seine Begeisterung ist ansteckend. "Das Ganze ist entstanden, weil unsere Eltern gehörlos sind und wir mitbekommen haben, was für Probleme im Leben dadurch entstehen", sagt er. Auch bei der Urlaubsplanung. Manchmal begleiteten die Brüder ihre Eltern ins Reisebüro und übersetzten, was sie buchen wollten. Kamen die Eltern allein, mussten sie Zettel hin und herschieben. Eine mühsame Angelegenheit.

Eigentlich hat sein älterer Bruder Manuel deaftravel gegründet. Aber weil er gerade mit dem Hund spazieren ist, erzählt Julian, wie alles begann.

Reisen für Hörende und Gehörlose

Vor neun Jahren beendet Manuel Facchin seine Ausbildung zum Bürokaufmann und fängt an, in einem Reisebüro am Flughafen zu arbeiten. 2009 eröffnet er dann "maxtravel24", sein eigenes Reisebüro. "Er brauchte das nötige Kapital, um Reisen in der gehörlosen Welt bewerben zu können, deswegen hat er mit hörenden Kunden angefangen", erklärt Julian. Ein Jahr später erweitert der ältere Bruder das Reisebüro um deaftravel und bietet zusätzlich Reisen für Gehörlose an. 2012 steigt Julian in das Geschäft mit ein, als er sein Betriebswirtschaftsstudium in Erding abgeschlossen hat.

Bislang ist deaftravel das einzige Reisebüro für Gehörlose in Bayern und das größte dieser Art in Deutschland. 70 Prozent der Kunden, die hier buchen, sind taub, an den Gruppenreisen nehmen jährlich zwischen 100 und 150 Gehörlose teil. Sie kommen aus der ganzen Bundesrepublik, aus der Schweiz, aus Österreich und Italien.

Das Konzept der Brüder ist schnell erklärt: Sie wollen Gehörlosen einen barrierefreien Urlaub ermöglichen, von Anfang an. Kunden können jede Reise in Gebärdensprache buchen und bei Gruppenreisen fährt ein Dolmetscher mit, der übersetzt, was der Reiseführer erzählt. Barrierefreiheit bedeutet für die beiden aber auch, dass der Urlaub nicht deutlich mehr kosten darf als für Hörende - schließlich wäre das wieder eine Einschränkung. Oft sei das aber schwierig umzusetzen, sagt Julian Facchin: "Dem Dolmetscher muss ja auch die Reise und der Flug bezahlt werden." Deswegen verhandeln die Brüder mit den Reiseveranstaltern, dass die Dolmetscher kostenlos mitfahren dürfen. Oft klappt es. Klappt es nicht, müssen die Kosten auf die Teilnehmer umgelegt werden. "Grundsätzlich erhält der Dolmetscher von uns keine Vergütung", ergänzt Facchin. Die Entlohnung sei der Urlaub.

Dass man das Reisebüro, das ziemlich gut versteckt im Gewerbegebiet am Moosfeld in Trudering liegt, nur nach einigem Suchen findet, macht den Brüdern nichts aus. Die meisten Kunden kommen nämlich nicht vorbei, sondern rufen an. Das läuft über Internetprogramme wie ooVoo oder Skype. "Die meisten rufen ab 16 Uhr an, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommen", sagt Julian Facchin. Oder mal kurz in der Mittagspause.

Beratung über Telefon und Internet

13 Uhr. Ein Mann ruft an, er will eine Reise nach Thailand buchen. Last minute, nach Bangkok, für zwei Personen. Markus Antony berät ihn vom Computer aus. Auf seinem linken Bildschirm unterhält er sich mit dem Kunden in Gebärdensprache, auf dem rechten sucht er nach passenden Angeboten. Antony ist selbst gehörlos, er arbeitet seit eineinhalb Jahren bei deaftravel. Ein wenig später haben sich beide geeinigt- der Urlaub ist gebucht.

Weil Julian und Manuel Facchin sich auskennen in der Gehörlosenwelt, wussten sie, wie ihr Reisebüro schnell bekannt wird: Sie haben viele Messen für Gehörlose besucht und dort ihr Angebot vorgestellt. So etwas spreche sich schnell herum, sagt Julian Facchin. "Das ist eine eigene, kleine Welt mit einer eigenen Kultur, die treffen sich oft - und aus dem Grund verbreitet sich alles sehr, sehr schnell." Schon nach kurzer Zeit kamen Anrufe aus ganz Deutschland und auch aus anderen Ländern.

Die Kunden sind dankbar

Bei deaftravel werden aber nur deutschsprachige Kunden beraten. Denn jede Sprache, jeder Dialekt, hat seine eigenen Gebärden. "Schon zwischen Sachsen und Bayern ist ein Riesenunterschied", erklärt Julian Facchin. Im Reisebüro beherrschen sie nur die deutsche Gebärdensprache - aber mit den Schweizern und Österreichern verstehe man sich auch irgendwie, sagt Julian und lacht. Und ein bisschen Gebärden auf Italienisch können die Brüder - weil ihr Vater Italiener ist.

Neben Julian Facchins Schreibtisch hängt eine Pinnwand, an der viele Postkarten befestigt sind. Sie sind von Kunden, die sich bei den Brüdern für den Urlaub bedanken. Dafür, endlich alles verstanden zu haben und verstanden worden zu sein. Julians Eltern haben zwar keine Karte geschickt, glücklich sind sie trotzdem, dass sie nun das machen konnten, wovon sie lange nur träumten. Mittlerweile haben sie schon viel gesehen: die Chinesische Mauer, den Grand Canyon oder das Empire State Building. Seit einem Jahr sitzt Mutter Doris mit im Büro, sie macht die Buchhaltung. "Gehörlose haben einfach mehr Freude, wenn sie verstanden werden", sagt sie und lächelt. Das versteht man auch ohne Übersetzung.

© SZ vom 12.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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