Regisseur Schorsch Kamerun:Werden wir alle zu Ninfos?

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Ein Punk am Theater: Der Goldene-Zitronen-Sänger Schorsch Kamerun spricht über sein Projekt an den Münchner Kammerspielen, die Superinformation und das künftig In-Viertel Berg am Laim.

Lisa Sonnabend

Schorsch Kamerun, 45, ist Sänger der Goldenen Zitronen und Theaterregisseur. Zwei Monate lang steht dem Neu-Münchner das Neue Haus der Münchner Kammerspiele für sein Projekt "Ninfo - No info" zur Verfügung. Es soll geprüft werden, ob es Sinn macht, sich der Informationsflut zu versperren und dem Leben wieder jungfräulich zu begegnen.

"Heute gibt es keinen Abstand mehr zwischen Ausprobieren-Können und Schon-Eingeholt-Werden von der Zeit": Schorsch Kamerun. (Foto: Foto: sonn)

sueddeutsche.de: Mit Ihrer Reihe "Ninfo - No Info" kritisieren Sie die Überinformiertheit und Informationsflut in unserer Gesellschaft. Warum stört Sie das?

Schorsch Kamerun: Die Idee kam mir bei der Frage, warum man sich von bestimmten Dingen entfremdet, warum Dinge nerven, die man doch eigentlich liebt. Warum mag ich in einem Café keine Popmusik mehr hören, egal ob es Starbucks heißt oder Café Oma und Opa? Warum hält die Welt kaum mehr Überraschungen bereit? Ich befürchte, weil alles schon beschrieben ist, weil man superüberinformiert ist. Bei den Olympischen Spielen wurde parallel China komplett ausgeleuchtet. Der Suchende hat kaum mehr die Möglichkeit, noch etwas selber zu entdecken. An den Kammerspielen probieren wir jetzt aus, ob es Sinn macht, sich temporär zu verschließen.

sueddeutsche.de: Was passiert in den kommenden zwei Monaten?

Kamerun: Am Wochenende haben wir eine Schaumparty zelebriert, erst mal kollektiv zu waschen, eine Art Grundreinigung. Von nun an haben wir unendlich viele Programmpunkte, die das Thema unterschiedlich ernst nehmen. Diedrich Diedrichsen liefert mit "Eigenblutdoping" eine Analyse der ehemals erstrebenswerten Selbstverwirklichung. Die Sängerin Soap&Skin aus Österreich überprüft ihren eigenen Hype. Heinz Strunk dagegen ist jemand, der eher mit dadaistischem Humor experimentiert. Und es gibt einen Abend zum 70. Geburtstag von Filmemacher Herbert Achternbusch, den ich sehr bewundere. Er hat mich in seinem Anarchismus sehr beeindruckt und verstört. Im Film "Bierkampf" rennt er wie ein Tier durch das Bierzelt. Die Art und Weise, wie die Leute ihn behandeln, macht klar, dass diese eigentlich selbst die Freaks sind. Eine tolle Umkehrung! Keine Ahnung, ob Achternbusch an dem Abend da sein wird oder nicht. Wir wollen vor allem auch Weggefährten von ihm dabei haben und etwas aus seinen Sachen neu interpretieren.

sueddeutsche.de: Was planen Sie für diesen Samstag?

Kamerun: Wir haben zwei Ninfo-Probanden. Eine Frau fliegt für zehn Stunden nach London und hat ein Multitasking-Set dabei, mit dem sie herausfinden soll, was gerade "in" ist. Sie wird die Londoner fragen, welche Themen dort aktuell sind, was die "Topthemen" sind. Die Probandin hört nebenbei ständig Musik und liest die neuesten Zeitungen und Zeitschriften. Sie wird alles mit einer Kamera dokumentieren und das dann Samstag vorführen.

sueddeutsche.de: Und der andere Proband?

Kamerun: Im Gegensatz dazu geht der hinunter in den Keller der Kammerspiele und nimmt sich Zeit. Dort passiert gar nichts. Wir werden die beiden dann befragen und gegeneinanderstellen. Mal sehen, was die Zuschauer empfinden, wenn sie auf die zwei konträren Realitäten prallen. Danach werden der Golden Pudel Club aus Hamburg und die Rote Sonne aus München zum City-Battle gegeneinander antreten.

sueddeutsche.de: Räumen Sie der Roten Sonne eine Chance ein?

Kamerun: Die Rote Sonne ist bei so etwas viel professioneller als wir. Ich kenne DJ Upstart von der Roten Sonne schon ewig. Er war einer der Macher der Disco Ultraschall und des Optimal-Plattenladens und war somit an den Findungsstätten Indie- und elektronischer Musik beteiligt. Wir vom Pudelclub haben dagegen immer die Strategie verfolgt, mal schauen, was kommt.

Lesen Sie weiter, was Schorsch Kamerun an Hamburg vermisst und warum Berg am Laim das neue In-Viertel wird.

sueddeutsche.de: Fehlt Ihnen Hamburg?

Kamerun: München ist super. Ich mag, wie es sich anfühlt. Es gibt alles. Ich bin großer Fan des Johannis Cafés in Haidhausen. Eine wundervolle Mischung aus vergangener Bohème, Normalos aus der Gegend und Szenegängern. Was ich auch an München mag, ist die Gasthausmixkultur, die gibt es in Hamburg so nicht. In den Biergärten zum Beispiel sitzen alle durcheinander.

sueddeutsche.de: Sie vermissen gar nichts?

Kamerun: Mir fehlen hier schon die Strukturen, die Leute und der Diskurs. Manchmal ist München ganz schön ordentlich, wie es das Klischee besagt. Ich glaube aber ohnehin, dass die Faszination der Urbanität verschwindet. Wenn es eine coole Gegend gibt, dann sind morgen gleich alle da und es wird ein Edeljapaner eröffnet. Das Westend ist vielleicht noch am durchmischtesten. Das kommende Viertel ist aber ganz klar Berg am Laim. Das schwöre ich, da kann man jetzt schon mal in Immobilien investieren, wenn man zum Beispiel eine BayernLB ist ...

sueddeutsche.de: Sie haben ja sogar ein Lied über die künftige Heimat der Süddeutschen Zeitung geschrieben, das "Menschen in Berg am Laim" heißt.

Kamerun: In dem Song wird das Phlegma einer Gegend beschrieben. Doch aus einem beigen Teig kann schon bald ein bunter Kuchen werden - und das ist für Berg am Laim absolut drin, jetzt wo die SZ dorthinzieht. Das war mit Gruner und Jahr und der Stadt Hamburg auch schon einmal so.

sueddeutsche.de: Ähnlich ist es ja auch dem Hamburger Hafenviertel ergangen ...

Kamerun: Der Golden Pudel Club hat am Fischmarkt aufgemacht, zu einer Zeit, als dort noch niemand hingegangen ist. Damals war es öde, schrotting, verrucht. Nach und nach kamen Mitte der achtziger, neunziger Jahre Werber und Verlage. Man verstand, dass man alles, was schräg und Underground ist, am besten verkaufen kann. Plötzlich waren alle da und wir konnten uns gar nicht mehr ausleben.

sueddeutsche.de: Pionier zu sein hat also nicht nur Vorteile?

Kamerun: Wenn man etwas "anderes" erfindet, macht man es direkt zu einer Ware - obwohl wir nie etwas Kommerzielles daraus machen wollten. Ich habe nie Geld aus dem Laden erhalten. Andere wollen das schon: Nebenan residiert inzwischen ein Nobel-Restaurant, die größte Werbeagentur Deutschlands ist hierher gezogen und in der neuen Hafencity werden die Elbphilharmonie und jede Menge Lofts gebaut. Heute gibt es keinen Abstand mehr zwischen Ausprobieren-Können und Schon-Eingeholt-Werden von der Zeit. Ich nenne das den Tod von Peter Pans "Neverland".

sueddeutsche.de: Aber an den Kammerspielen darf nun wieder ausprobiert werden?

Kamerun: Ich sehe das Projekt als eine kollektive Zeit, die gelebt sein will, in der wir gemeinsam experimentieren können. Ich will Kunstaufführung und Leben nicht trennen. Die Zuschauer sind dazu aufgerufen, sich selber Fragen zu stellen, mitzumachen und Kritik zu üben. Es gibt auch zwei, drei Abende, die noch ziemlich offen sind. Da kann man sich melden und Ideen einbringen. Wer weiß, vielleicht werden wir ja alle zu Ninfos - also zu Leuten, die nach dem Prinzip No Info leben, um dann mit wirklich eigener Idee wieder aufzutauchen. Und dann aber forever ...

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