Rad-Historie:Ausgebremst

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Darstellung aus dem Jahr 1819: Die Laufmaschine nach Karl Freiherr Drais, mit der man bergab man mit einem Pferd im Galopp mithält. (Foto: Hulton Archive/Getty Images)

Die "Laufmaschine" als Ersatz fürs Pferd galt als revolutionäre Erfindung, durchsetzen konnte sich Karl Freiherr Drais anfangs damit allerdings nicht

Von Marco Völklein, München

Wenn die Menschen leiden, dann leiden auch die Tiere. Im Jahr 1816 sind es Frost im Mai, Regen im Juni und Juli sowie Hagelschauer im August, die in Mitteleuropa zu katastrophalen Ernteausfällen führen. Wie man mittlerweile weiß, wurde das Ganze ausgelöst durch einen Vulkanausbruch im Jahr 1815 im heutigen Indonesien; ein Jahr später erzeugte die Aschewolke Missernten in Europa. Auch die Pferde, damals das Transportmittel Nummer eins, leiden: Wenn sie Glück haben, bekommen sie nur weniger Hafer zu fressen. Wenn sie Pech haben, werden sie geschlachtet. Der Mannheimer Erfinder Karl Freiherr Drais, mit vollem Namen Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn, macht sich zu dieser Zeit Gedanken darüber, wie man das Pferd ersetzen könnte - wenn schon nicht als wichtigstes Arbeitstier, so doch zumindest als Mittel zur Fortbewegung. Und so erfindet er seine "Laufmaschine", den Vorläufer des Fahrrads. Mit ähnlich großen Rädern wie bei heutigen Velos und einer Schleifbremse am Hinterrad.

Drais' Erfindung ist revolutionär, Zeitungen berichten auf dem gesamten Kontinent über die Jungfernfahrt am 12. Juni 1817 von Mannheim in Richtung Schwetzingen. Ein britischer Mathematikprofessor macht damals folgende Rechnung auf: Ein Pferd kostet in Anschaffung und Unterhalt etwa 1900 Pfund, eine Draisine nur 20 Pfund - Drais' Alternative zum Pferd ist also auch wirtschaftlich interessant.

Drais selbst unternimmt zahlreiche Touren, auch um Aufmerksamkeit zu erregen. 1818 fährt er per Laufmaschine von Mannheim über Nancy nach Paris, um seinen Importeur zu treffen - mit 550 Kilometern eine beachtliche Leistung. Doch für den Erfinder zahlt sich die Entwicklung nicht aus. Einen Patentschutz gibt es zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht, Handwerker in ganz Europa kopieren seine Fahrmaschine. Zudem fahren die Bauern vom Sommer 1817 an wieder gute Ernten ein. "Das günstige Fenster für die Erfindung war schnell wieder geschlossen", schreibt der Technikhistoriker Hans-Erhard Lessing, der sich intensiv mit Drais und dessen Erfindung auseinandergesetzt hat. Zudem bremsen viele Städte die "Schnellfüßler" aus: Sie erlassen Fahrverbote auf Bürgersteigen. Auf den meist matschigen und zerfurchten Fahrbahnen der Fuhrwerke lassen sich die Laufmaschinen aber kaum balancieren.

Zudem ist Drais politisch umstritten. In der badischen Revolution engagiert er sich auf Seiten der Demokraten; er verzichtet per Zeitungsannonce auf seinen Adelstitel und will fortan nur noch Karl Drais genannt werden. Forscher Lessing sagt: "So einer wurde damals geächtet." Monarchisten hätten Drais als kauzigen Eigenbrötler denunziert, seine Erfindung als "zweckloses Ding" lächerlich gemacht. Später wird Drais vorgeworfen, die Zweirad-Idee von einem Franzosen abgekupfert zu haben.

Sein Erfindergeist bleibt indes trotz aller Widrigkeiten hellwach: Neben der Lauf- erfindet Drais weitere Maschinen, unter anderem eine Schnellschreibmaschine oder eine Musikmaschine, eine Art Klavierrekorder auf Papier. 1851 stirbt er mit 66 Jahren in Karlsruhe. Mittellos, wie Biografen notieren.

© SZ vom 24.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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