Prozess in München:"Können Sie überhaupt ein Urteil über mich sprechen?"

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Mordversuch oder gefährliche Körperverletzung? Ein Mann stach mit einem Schraubenzieher auf einen Bekannten ein - das Münchner Schwurgericht muss den Fall neu verhandeln. Doch das ist für den Angeklagten eine fremde Welt.

Von Christian Rost

Es kann nur besser werden für Dariusz D., der im September 2013 wegen einer Attacke mit einem Schraubenzieher zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Das Münchner Schwurgericht hatte die Tat als Mordversuch gewertet. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf, seit Donnerstag wird der Fall in München neu verhandelt. Für den 39-jährigen D. könnte am Ende ein geringeres Strafmaß herauskommen, doch er schaltete auf Stur bei der Neuauflage des Prozesses: "Ich bin dagegen", rief er dazwischen, als der Vorsitzende der 12. Strafkammer, Stephan Hock, die Sachverständigen und Staatsanwältin vorstellte. Den Richter ging der Angeklagte dann auch noch direkt an: "Können Sie überhaupt ein Urteil über mich sprechen?", fragte D., woraufhin Hock bemerkte: "Ja, damit verdiene ich mein Geld."

Es war, als würden sich im Saal 173 Menschen aus zwei verschiedenen Welten treffen. Auf der Anklagebank der arbeitslose Elektriker und Gewohnheitstrinker D., rund um ihn herum die Juristen mit ihren merkwürdigen Regeln. D. versteht diese Regeln nicht, auch eine Dolmetscherin kann dem Polen da nicht weiterhelfen. Jedenfalls ist er nach wie vor fest davon überzeugt, seine Unschuld beweisen zu können. Er habe nicht auf einem Gehsteig in der Tegernseer Landstraße auf einen Bekannten eingestochen, beteuerte D.

Es geht nur um das Strafmaß

Dass er das eben doch getan hat am 14. Oktober 2012 um die Mittagszeit, steht aber für das Landgericht längst fest. Der BGH hatte nicht daran gezweifelt, als er das erste Urteil aufhob. Das höchste deutsche Gericht verlangte lediglich genauer zu prüfen, ob D. nach den Stich-Attacken eventuell seine Mordabsicht aufgegeben hatte. Sollte das der Fall sein, könnte er wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt werden.

Staatsanwältin Nicole Selzam warf ihm vor, aus Rache zugestochen zu haben. Seine Freundin habe ihm zuvor erzählt, dass das spätere Opfer sie sexuell missbraucht habe. Dariusz D. passte den beschuldigten Mann auf der Straße ab und hieb mit dem Schraubenzieher auf dessen Kopf ein. Die Spitze des Schraubenziehers schrammte über die Stirn des Mannes, der sich nach vorne zusammenkrümmte und D. die Gelegenheit bot, ihm das Werkzeug zwischen die Schulterblätter zu rammen. Der Stich traf die Lunge, das Opfer ging zu Boden. Ehe D. sich von dem Mann abwandte, versetzte er ihm noch mehrere Fußtritte. Der Verletzte schleppte sich zu einer nahegelegenen Polizeidienststelle, von dort wurde er ins Krankenhaus gebracht.

Es bleibt nun der Interpretation des Gerichts überlassen, ob D.s Abwenden vom Opfer rechtlich einen Rücktritt darstellt oder nicht. Und selbst wenn die Kammer untersuchen würde, ob D. tatsächlich zugestochen hat, würde er um eine Verurteilung wohl nicht herumkommen. Denn seine damalige Freundin, seine einzige Entlastungszeugin, hat den Kontakt zu ihm abgebrochen und ist verschwunden. Der Prozess wird fortgesetzt.

© SZ vom 24.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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