Prozess am Landgericht München I:Kinderklinik muss hohes Schmerzensgeld zahlen

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Der Arzt erkannte einfach nicht, wie schlecht es um den Säugling stand. Seitdem ist das Mädchen schwer behindert und wird nie ein eigenständiges Leben führen können. Das Gericht sieht die Schuld beim Mediziner und verurteilt ihn und die Klinik zu einer hohen Schmerzensgeldzahlung.

Ekkehard Müller-Jentsch

Der diensthabende Arzt der Münchner Kinderklinik reagierte zu spät auf die akuten Herz- und Kreislaufprobleme bei dem vier Monate alten Säugling - mit gravierenden Folgen. Das Kind erlitt schwere Hirnschädigungen. Die inzwischen Achtjährige wird wohl niemals ein eigenständiges Leben führen können. Das Landgericht München I verurteilte deshalb Arzt und Uni-Spital zur Zahlung von 400.000 Euro Schmerzensgeld.

Victoria war 2003 mit einer seltenen aber gutartigen Tumorerkrankung der Lymphgefäße zur Welt gekommen: Dadurch war schon bei der Geburt ihr linkes Bein fünfmal dicker und schwerer als das rechte, und lila verfärbt. Den Eltern wurde zur chirurgischen Korrektur geraten. Als die Kleine in die Klinik gebracht wurde ging es ihr zunehmend schlechter.

Im Laufe des Gerichtsprozesses stellte sich nun heraus, dass der damalige Nachtdienstarzt auf die zunehmenden Symptome einer Weichteilinfektion nicht entschlossen genug reagiert hatte. Dabei hatte sich schon abgezeichnet, dass die Entzündungsreaktion den gesamten Körper erfasste. Das führte zu einer massiven Herz- und Kreislaufbelastung des Kindes, mit sehr schwerwiegenden Folgen. Der Säugling wurde damals um wenigstens drei Stunden zu spät in die Intensivstation verlegt. Da litt er bereits an einer schweren Übersäuerung des Blutes.

Viermal musste das Baby wiederbelebt werden, weil das Herz versagte. Später stellte man fest, dass Victoria mit "Enterobacter cloacae" infiziert war. Das ist ein Komplex von Erregern, der in Krankenhäusern immer häufiger nachgewiesen wird, eine hohe Resistenz gegen Antibiotika aufweist und sich laut Experten auch "gut gegen diverse Desinfektionsmittel zu wehren weiß". Seine Behandlung gilt als schwierig.

Die Richter der Arzthaftungskammer haben nun festgestellt, dass der Arzt damals den richtigen Zeitpunkt versäumte, seine kleine Patientin einer Blutgasanalyse zu unterziehen. Der vom Gericht beauftragte Gutachter hatte das zwar ebenfalls erkannt, sich jedoch zunächst nicht durchringen können, das als Fehler zu werten. Victorias Rechtsanwältin Monika Günther-Aschenbrenner zog deshalb einen Privatgutachter bei, der als Gerichtsgutachter in anderen Verfahren der 9. Zivilkammer als Experte schon gut bekannt war. Dieser Mediziner überzeugte das Gericht schließlich, dass der Klinikarzt bei "kunstgerechtem Vorgehen" früher als geschehen auf die lebensbedrohliche Situation hätte reagieren müssen.

Das Argument der Klinik-Anwälte, dass bereits der Keim Enterobacter Cloacae für die Gehirnschäden verantwortlich sei, nannte das Gericht "spekulativ" und damit "ohne Bedeutung". Dass dieser Keim auch bei kunstgerechter Behandlung zu den Hirnschäden geführt hätte, lasse sich nicht beweisen. Auch wenn vielleicht durch einer raschere Blutgasanalyse diese Bakterieninfektion nicht identifiziert worden wäre, so hätte eine früher einsetzende intensivmedizinische Therapie doch die schweren Folgen der Sepsis abfangen können.

Dem kleinen Mädchen musste schon bald nach diesem Vorfall auch das linke Bein amputiert werden - das ist jedoch nach Meinung des Gerichts "schicksalhaft" und wirke sich nicht auf die Höhe des Schmerzensgelds aus.

Mit den 400.000 Euro könne nun für Victoria bei sinnvoller Verwendung eine Umgebung geschaffen werden, in der sie trotz ihrer beschränkten Möglichkeiten "Zuwendung erfahren, für sie interessante Dinge und auch die Natur kennenlernen, sowie Freude an ihrem Leben entwickeln und genießen kann", sagt das Gericht. Victoria "hat Anspruch darauf, dass ihr eine ihrer Würde und ihrem Persönlichkeitsrecht angemessene Umgebung geschaffen wird". Es ist wahrscheinlich, das die Klinik Berufung gegen das Urteil einlegen wird.

© SZ vom 06.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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