Professor Brosius über S-Bahn-Gewalt:Sind die Medien schuld?

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Der Kommunikationswissenschaftler Hans-Bernd Brosius über Überfälle in der Münchner S- und U-Bahn und warum die Menschen nach jeder Prügel-Überschrift verunsicherter sind als zuvor.

T. Neshitov

LMU-Professor Hans-Bernd Brosius befasst sich als Lehrstuhlinhaber für empirische Kommunikationswissenschaft unter anderem mit der Wirkung von Medieninhalten auf das Publikum.

"Kleines wird großgeschrieben": Hans-Bernd Brosius über S-Bahngewalt (Foto: Foto: ddp)

SZ: Wenn Zeitungen groß über Überfälle auf Fahrgäste berichten, wie wirkt das auf den Leser?

Brosius: Die Berichterstattung verändert die Wahrnehmung der Wirklichkeit, die Berichte verstärken das Gefühl der Unsicherheit. "S-Bahnfahren ist unsicher", das ist dann die Botschaft.

SZ: Haben Sie nun persönlich mehr Angst, mit der S-Bahn zu fahren?

Brosius: Nein, eben weil ich vorhersagen kann, wie die Medien über solche Fälle berichten. Alle Überfälle aus der Vergangenheit werden nochmal hochgebracht, Kleines wird großgeschrieben, es entsteht der Eindruck einer gewachsenen Gefahr. Meistens stimmt das nicht, aber das ist journalistische Routine.

SZ: Wenn ein Mensch zu Tode geprügelt wird oder nur durch couragierte Bürger gerettet werden kann, wie können sich da die Medien anders verhalten?

Brosius: Sie können noch so oft hinzuschreiben, dass die Gewaltstatistiken eigentlich rückläufig sind - der Leser wird nach jeder Prügel-Überschrift verunsicherter sein als zuvor. Das ist eine Regel der Medienwirkung.

SZ: Können Berichte über Bürger, die bei solchen Attacken einschreiten, Zivilcourage fördern?

Brosius: Zivilcourage kann man schwer ermessen. Bei einer Umfrage werden vermutlich viele sagen: Ich wäre auch eingeschritten. Aber Verhalten und Aussagen weichen oft auseinander.

SZ: Würden Sie von Nachahmungseffekten bei Jugendlichen sprechen?

Brosius: Der Nachahmungseffekt ist traditionell bei Bombendrohungen oder bei Berichterstattung über Selbstmorde stark. Bei Prügelüberfällen sehe ich keinen direkten Nachahmungseffekt. Es gibt aber auch hier einen Zusammenhang: Je mehr die Medien auf die Lebensgeschichte des Täters eingehen - schwere Kindheit, Vater Alkoholiker - desto größer der Ansporn für Jugendliche mit ähnlichen Lebensläufen, auch mal auszurasten und als Entschuldigungsgrund ihre schwierige Kindheit anzuführen.

SZ: Nach dem Arabella-Park-Überfall spielte die Nationalität der Täter eine große Rolle. Diesmal nicht.

Brosius: Bereits Solln hat ja gezeigt, dass Gewaltbereitschaft nichts mit Nationalität zu tun hat. Das heißt allerdings nicht, die Medien hätten dazugelernt! Wenn wieder eine Prügelei passiert, in der Migrantenkinder die Täter sind, wird die alte Diskussion wieder losgehen. Medien lernen grundsätzlich nicht dazu.

© SZ vom 27.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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