Es ist schon enttäuschend. Curt Cress sitzt in einem neongrünen Drehsessel, blickt aus dem Wohnzimmerfenster seines Anwesens in den Garten, hat gerade ein wenig schüchtern erzählt, wie er - als einer der weltbesten Schlagzeuger - mit Freddie Mercury im Studio gearbeitet hat, und dann das: "Ich kann nicht einmal einen Stick drehen."
Den Schlagzeugstock hoch über dem Kopf halten und ihn zwischen zwei Schlägen gut sichtbar für das Publikum durch die Finger kreisen lassen. Diese erste Angeberpose, die ein Drummer lernt, die kann er nicht? Nein. Dafür kann er andere Dinge mit seinen Sticks. Zum Beispiel spüren, welchen Groove ein Song braucht. Der Rhythmus in diesem Mann ist allgegenwärtig, auch jetzt im grünen Sessel.
Der 58-Jährige aus Pullach mit dem weißgrauen Dreitagebart blickt fröhlich durch seine Brille. Er erinnert an eine Mischung aus Herbert Grönemeyer und Helge Schneider. Aber er wirkt eher wie einer, der tagsüber auf dem Bürostuhl hinter Monitoren sitzt und tippt, als abends auf dem Hocker hinter Becken und Trommeln und vor Tausenden rockt. Nur seine rechte Hand und Fuß verraten ihn. Mit denen klopft er immer wieder trippelnde Figuren auf Boden und Oberschenkel, mit Bewegungen, denen man ansieht, wie wenig Kraft sie brauchen - paradiddl-paradiddl.
Und wenn Cress eine rhythmische Figur erklärt, kann er mit seiner Stimme sämtliche Schlagzeugelemente spielen. Zum Beispiel den Anfang des "Wetten, dass ..?"-Themas, dass er entwickelt hat und das an diesem Samstag zum letzten Mal in einer Sommershow für Moderator Thomas Gottschalk läuft.
"Dungdongdoungzidizididizsch", erst drei Tom-Schläge, bevor ein dampfendes Schlagzeug zur Melodie losrennt, dazu eine zischende Hi-Hat. Die Hi-Hat, die jeden Rocksong mit dem verbindenden zibzibzib begleiten, daran erkennt man den Schlagzeuger Cress, "sagen mir die Leute". An den Verzierungen, die er darauf zum Rhythmus spielt.
Man erkennt Cress leichter an seiner Musik als an seiner Person, denn obwohl er mit Musikern wie Meat Loaf, Falco oder Udo Lindenberg gespielt hat, heute zigfacher Millionär ist, 15 Mal zum besten Schlagzeuger Deutschlands gewählt worden ist und jahrelang als bestbezahlter Studio-Drummer der Welt für Gagen von 12.000 Euro pro Tag Lieder eingespielt hat, ist der Mann nicht sehr bekannt. Sein Naturell ist es, "lieber im Hintergrund" zu stehen, dafür hat er das ideale Instrument gelernt.
Nur am Anfang der Karriere wollte er auffallen, als er sich als Elfjähriger in Hanau ans Drumkit setzte. "Eine Motivation war, das man da auf der Bühne sitzt und so an Mädchen rankommt." Eine weiterer Antrieb: Ihm fiel das Trommeln leicht. Warum, das weiß er selbst nicht so genau. Wenn Cress von sich erzählt, zuckt er daher oft mit den Schultern. Warum er später in der Lage war, einen ganzen Song immer um fünf Millisekunden vom Metronom versetzt durchzuspielen? Schulterzucken. Vieles fiel ihm leicht und zu, wobei es in seiner Karriere durchaus auch Rückschläge gab.
Das erste Drumset 1963 hatte Becken, die an Seilen von der Decke hingen, und eine Bassdrum, gegen die der kleine Curt mit dem Fuß treten musste, eine Fußmaschine gab es nicht. Doch die kam bald. Der Schlagzeuger einer regional bekannten Band wollte Cress eine Stunde geben, sagte: "Das lernst du nie." Er lernte es wohl - und verdrängte den Drummer aus der Band. Schon als Jugendlicher verdiente er gutes Geld, kaufte Trommeln und trat mit verschiedenen Gruppen auf.
Dabei ging es durchaus rau zu. "Eine dicke schwarze Sängerin warf mir einmal die Noten hin und sagte: ,Play , boy'!" Wenn er den Groove nicht gleich konnte, krachte schon mal ein Tritt an die Trommeln. Und er musste zudem immer aufpassen, ob jemand von den Behörden im Publikum war. Dann versteckte die Band ihren minderjährigen Drummer - in einer Trommel.
Cress lernte, übte ununterbrochen, manchmal von zehn Uhr morgens bis zwei Uhr nachts. "Ich hatte immer das Gefühl, nicht gut genug zu sein, besser werden zu müssen. Und ich wollte immer mit fähigeren Musikern, als ich es war, zusammenspielen. Irgendwann wurde das dann schwierig." Ist da ein Hauch von Stolz in der Stimme? Eitelkeit? Es ist wohl einfach die Wahrheit.
Nach dem Abitur 1970 ging Cress von Hanau nach Berlin, dann nach Hamburg, hatte mit 17 schon 25 LPs eingespielt. Er war im Studio gefragt, denn seine Stärke war, dass er im richtigen Tempo blieb. Warum? Achselzucken. "Das war wichtig, weil es noch nicht üblich war, bei Aufnahmen ein Metronom zu nutzen." So wurde er in der Szene bekannt und spielte in bis zu fünf Bands gleichzeitig. 1971 lernte er bei einem Konzert Udo Lindenberg kennen, damals Schlagzeuger bei Passport, der Fushion-Band von Saxofonist Klaus Doldinger. "Als Udo ausgestiegen ist, kam ich rein bei Passport."
In den nächsten Jahren tourte die Münchner Band, alles Perfektionisten. "Wir haben nach Auftritten manchmal im Hotel die dreieinhalb Stunden lange Aufnahme komplett durchgehört und uns über Kleinigkeiten gestritten, im Auto am nächsten Tag lief das Band dann nochmal." Zu der Zeit hatte er schon seine Frau kennengelernt, ein Haus in München gekauft und war nebenbei weiter als Studio-Drummer unterwegs. "Manchmal nur für eine Nacht in LA." Es war die wilde Zeit. Erst als Familie Cress Nachwuchs bekam, drei Kinder sind es heute, wurde der Vater ruhiger, gründete ein Studio und eine Plattenfirma, und hätte 1983 beinahe seine Karriere beenden müssen.
Bei der Gartenarbeit hackte er auf einen Stein. Die Folge: Er konnte mit rechts nichts mehr halten. "Ein Jahr lang habe ich mir zum Spielen den Stick an die Hand gebunden. Die Ärzte sagten: Die Hand wird steif." Dann krachte Cress bei einem Skisturz auf die kaputte Hand. Die Blockade war weg, die Tour ging weiter. Cress hat bislang 14.000 Lieder eingespielt, "auf etwa 400 Millionen Tonträgern bin ich wohl zu hören".
Er produziert heute vor allem, auch für TV-Serien, doch das Schlagzeug ist ihm noch immer am liebsten. "Einer sagte mal: Curt, du meinst, was du schlägst." Und er fühlt, was er schlagen soll, ob für Mercury, BAP oder Nicki. "Jeder Schlag ist gewollt." Hat einen Sinn. Warum sollte Cress da auch nur einmal den Stick kreisen lassen?