Probleme beim Rettungsdienst:Samariter mit Schattenseiten

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Seit Jahren steht der Münchner Arbeiter-Samariter-Bund in der Kritik. Ein interner Prüfbericht wirft dem ASB einen fragwürdigen Umgang mit Geld und Spezlwirtschaft vor - der neue Vorstand will die jahrelangen Querelen nun aufarbeiten.

Von Bernd Kastner

Der Applaus war lang und laut, der Mann strahlte, als er den Lohn für seine Arbeit erhielt: Er trug das Mikrofon durch den Saal. Groß war der Diskussionsbedarf, also musste er viel rennen auf der Jahresversammlung des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB). Anderen dagegen blieb der Beifall verwehrt, obwohl sie jahrelang als Vorstände aktiv waren im ASB München-Oberbayern. An der Spitze stand acht Jahre lang Eduard Höcherl, Chefarzt am Klinikum Schwabing und einst CSU-Stadtrat. Für ihn und seine Kollegen rührte sich kaum eine Hand an diesem Abend im April, im Gegenteil: Sie wurden geradezu vom Hof gejagt, so groß war der Unmut über die Querelen der vergangenen Jahre. Und hätten die ASB-Mitglieder gewusst, was interne Prüfer schon Monate zuvor festgestellt hatten, der Abschied wäre wohl noch eisiger ausgefallen.

"Prüfungsbericht" steht über dem zwölfseitigen Papier, es handelt vor allem vom Umgang mit Geld. Die Kontrolleure skizzieren das Gebaren einer haupt- und ehrenamtlichen Vereinsspitze, das Insider mit Worten wie Filz und Spezlwirtschaft zusammenfassen. Der neue Vorstand um den Rechtsanwalt Christian Wolf widerspricht diesem Eindruck nicht. Er kündigt einen komplett neuen Führungsstil an, um das Betriebsklima zu verbessern: Transparenter, fairer und kommunikativer soll es künftig zugehen in der Zentrale an der Adi-Maislinger-Straße. Ganz anders eben.

Das Image hat gelitten

Etwa 140 Hauptamtliche und 230 geringfügig Beschäftigte tun Dienst beim Münchner Regionalverband und seiner Rettungsdienst-GmbH. Mit 55 000 Mitgliedern ist es bundesweit der größte Regionalverband der Samariter, die vor gut 100 Jahren aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen sind. Verfasst hat den Prüfbericht die Landeskontrollkommission des ASB, und das schon im Juli 2013. Seither galt er als Verschlusssache. Der bayerische Landesverband blickt seit gut zwei Jahren argwöhnisch nach München. Seit publik wurde, dass der dortige ASB seine Auszubildenden mit gerade mal 125 Euro im Monat entlohnte, ist keine Ruhe mehr eingekehrt.

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Das Image der Samariter hat darunter gelitten, auch weil Staatsanwaltschaft und Zoll zweimal mit einem Durchsuchungsbeschluss vorbeikamen. Noch immer laufen Ermittlungen, unter anderem gegen den Geschäftsführer des Vereins, wegen des Verdachts des "Vorenthaltens von Arbeitsentgelten", so nennen es die Ermittler. Derweil haben die internen Prüfer mit ASB-Augen auf den ASB geschaut. Ihre Kritik und Fragen richten sich an die abgetretene ehrenamtliche Spitze und den weiter amtierenden Geschäftsführer.

Immer wieder geht es ums Geld.

Beispiel Chef-Darlehen. Der alte Vorstand hat dem Geschäftsführer 2011 ein Darlehen im hohen fünfstelligen Bereich ausgezahlt. Ungewöhnlich ist das für den ASB, und dann monieren die Prüfer auch noch: "Der Vertrag ist von Seiten des ASB nicht rechtswirksam unterzeichnet." Zwei Vorständler hätten unterschreiben müssen, einer hat es nur getan. Immerhin, das Geld wurde zurückgezahlt, mit Zinsen.

Beispiel Fahrzeugnutzung. Drei Mitglieder des alten Vorstands sollen Fahrzeuge, die auf den ASB zugelassen gewesen seien, gefahren haben, auch privat. "Dieser Weg wurde offenbar gewählt", notieren die Prüfer, "um besondere Konditionen der Fahrzeughersteller nutzen zu können." Die Auto-Konzerne gewähren Kunden wie dem ASB großzügige Nachlässe, und das wollte sich offenbar mancher Vorstand zunutze machen. Zwar hätten die ASBler alles selbst bezahlt, Steuer, Versicherung, Benzin, doch schriftliche Vereinbarungen darüber seien in der Zentrale nicht zu finden gewesen, monieren die Prüfer. "Das gewählte Verfahren entspricht somit (...) nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchhaltung."

Zwei der drei betroffenen Vorstände geben sich sehr zugeknöpft und versichern nur: Sie hätten sich "rechtlich korrekt" verhalten, dem ASB sei kein Schaden entstanden. Der Dritte beteuert, er sei schließlich ehrenamtlich für den ASB als Einsatzleiter im Rettungsdienst tätig gewesen, und außerdem sei der Rabatt gar nicht wesentlich höher als der, den auch normale Kunden aushandeln könnten. Mittlerweile, betont der neue Vorstand, sei die Praxis, Autos via ASB günstig anzuschaffen, beendet worden.

Praktikanten zum Hungerlohn

Beispiel Miete. Dem ASB gehört seine Zentrale auf dem Feierwerkgelände selbst, einen Teil hat er vermietet: An seine eigene Rettungsdienst GmbH und an eine Autowerkstatt. Aufgefallen ist den Prüfern, dass die Vereins-Tochter eine deutlich höhere Miete bezahle als die Werkstatt. Warum diese Differenz? Die Causa Miete ist pikant, weil der Hauptgesellschafter der Autowerkstatt ausgerechnet der abgetretene Vorstandschef Höcherl ist. Als bekennender Autonarr, so erzählte er, sei er in die Firma eingestiegen nach der Insolvenz der Vorgängerfirma 2011. So habe er Arbeitsplätze gesichert und dem ASB einen Mieter.

Das bedeutete aber auch: Der Oberste Samariter hatte über die ihm privat gehörende Werkstatt Geschäftsbeziehungen zu dem von ihm geführten ASB. Der Verband ließ und lässt dort seine Autos richten, die Höcherl-Firma zahlte Miete an den Höcherl-Verband. Alles legal, beteuerte Höcherl schon vor Monaten im Gespräch mit der SZ. In der ASB-Zentrale aber rümpften deshalb einige seit langem die Nase, und auch auf der Mitgliederversammlung war dies kein Pluspunkt für Höcherl.

Beispiel Praktikantenlohn. Auszubildende zum Rettungsassistenten erhielten in der Vergangenheit 125 Euro im Monat. Das wird längst auch ASB-intern als zu gering erachtet, zumal die "Praktikanten" de facto Auszubildende im zweiten Lehrjahr sind. Begründet hat die ASB-Führung den Minilohn bislang damit, dass man gerne mehr gezahlt, aber die Krankenkassen leider nicht mehr erstattet hätten. Nun aber rechnen die ASB-Prüfer vor, dass 2011 und 2012 jeweils rund 100 000 Euro im Personalbudget übrig geblieben seien: "Es standen somit ausreichend Haushaltsmittel zur Verfügung, den Praktikanten eine höhere Vergütung zu bezahlen. Die Ermittlungen und die gesamte öffentliche Diskussion wären vermeidbar gewesen."

Beispiel Personalakten. Diese sind der Hauptgrund, warum die Prüfung des ASB durch den ASB noch immer nicht abgeschlossen ist. Die Münchner haben den Prüfern des Landesverbandes die Einsicht in die Personalakten verweigert. Der Datenschutzbeauftragte des ASB habe dazu geraten, Externen, und als solche betrachtete die alte ASB-Führung die Kontrolleure, die Akten nicht zu öffnen. Das empfand der Landesverband, geführt vom Münchner SPD-Vorsitzenden Hans-Ulrich Pfaffmann, offenbar als Affront. Und der Revisor des Bundesverbandes notierte: Bisher sei in ASB-Gliederungen das Prüfen der Personalakten bis hinauf zu den Geschäftsführern "nie ein Problem gewesen".

Der neue Vorstand will das Problem nun pragmatisch lösen: Die eigene Kontrollkommission des Regionalverbandes soll die Akten anschauen. Deren drei Mitglieder versprechen, die Vorgänge kritischer zu begleiten, als es offenbar ihre Vorgänger gemacht haben. Dem neuen Münchner Prüfteam gehören ein prominenter Gewerkschafter, der Gründer des ASB-Kriseninterventionsteams und ein Journalist an.

Pragmatische Lösung gesucht

Der Unmut in der Belegschaft über die bisherigen Praktiken ist groß, die Erwartungen an Wolf und seine Kollegen entsprechend hoch. Die obersten Samariter müssen das Betriebsklima retten. Dabei müssen sie mit einem Geschäftsführer aus der alten Ära zurechtkommen, der, so ist zu hören, dem neuen Vorstand nicht den roten Teppich ausgerollt hat. "Es holpert", sagt ein Insider, der das Miteinander kennt. Plötzlich hat der Geschäftsführer jemand über sich, und das nicht nur pro forma auf dem Papier. Man suche den "konstruktiven Dialog" mit dem obersten Angestellten, sagt Wolf, und das sei bisweilen eine "Herausforderung". Er bemüht sich um Fairness: Immerhin seien viele Erfolge des ASB ebendiesem Chef zu verdanken.

Fast ein Jahr alt ist der Prüfbericht inzwischen. Der alte Vorstand hat sich mit den unbequemen Empfehlungen darin offenbar allenfalls rudimentär beschäftigt. Ex-Chef Höcherl ist inzwischen ebenso wie der Geschäftsführer auf Tauchstation und reagiert nicht auf SZ-Fragen. Derweil mühen sich die Neuen nach eigenem Bekunden seit Wochen, die aufgeworfenen Fragen zu klären. An diesem Montag startet eine große, interne Untersuchungskommission die Aktion Vergangenheitsbewältigung: Kontrolleure von Regional-, Landes- und Bundesverband des ASB tun sich mit einem Strafrechtsanwalt und einem Steuerberater zusammen.

Auch mit der Staatsanwaltschaft sei man im Gespräch, die wiederum den Prüfbericht auf strafrechtliche Relevanz prüft. Es würde nicht wundern, wenn die von den Kontrolleuren monierten bisher schon hohen Anwaltsausgaben des ASB weiter steigen. Noch hält sich Wolf mit einem Urteil über die Vergangenheit zurück. Aber was er für die Zukunft verspricht, sagt viel über das Gewesene: Künftig werde es "keine Privilegierung einzelner Personen" mehr geben; künftig werde man die Mitarbeiter fair und ausgewogen vergüten, und es werde "klare Verhaltens- und Compliance-Regelungen für den ASB München und seine Amtsträger geben".

© SZ vom 14.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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