Pro Wertstoff-Insel:Willkommene Provokation

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Das Kunstprojekt auf dem Karolinenplatz ist eine Provokation auf Zeit. Es bietet viele Deutungsebenen an, viel Stoff zum Nachdenken. Da darf es ruhig hässlich sein

Von Thomas Kronewiter

Kunst oder nicht Kunst? Völliger Irrsinn städtischer Bürokratie oder ein kreativer Streich, wie man ihn seit der Installation des Kammerspiel-Intendanten Matthias Lilienthal nahezu überall in der Stadt gewärtig sein muss? Am Karolinenplatz ist man sich zunächst nicht sicher, zückt die Handykamera - und fängt mit dem Nachbarn in der Tram das Diskutieren an.

Über ein Kunstprojekt, das provoziert. Ein Kunstprojekt zudem, das nicht vom Kurator im blank gebohnerten Ausstellungsraum versteckt wird. Sondern mit dem die Normal-Münchner dank der Trambahnlinien 27 und 28 zu Tausenden konfrontiert werden. Der Idealfall also für eine Kunst-Tradition, die als "Kunst im öffentlichen Raum" seit Jahren in München etabliert, aber nicht zwangsläufig auch immer gelungen ist.

Nun muss man, anders als beim beeindruckenden "Walking Man" oder bei der filigranen Sigi-Sommer-Statuette, die 40 Wertstoff-Container am Fuße des Obelisken nicht auf Jahre hin anschauen - was den Vorwurf der ästhetischen Sünde am Karolinenplatz schon erheblich mildert. Eine Provokation auf Zeit darf auch einmal hässlich sein. Und um eine vielfach deutbare Provokation handelt es sich. Sie knüpft an den Alltag des Einzelnen an, der den nächsten Wertstoff-Containerstandplatz in fußläufiger Entfernung, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür haben will. Sie überhöht sich in der Debatte um die Wegwerfgesellschaft, um den Sinn und Unsinn des akribischen Trennens von Plastik, während Autobauer mit millionenfachem Abgas-Schwindel die Umwelt zerstören dürfen. Und sie mündet, wenn man es gedanklich auf die Spitze treibt, in den Streit um andere Container-Standorte, die derzeit zu Einwohnerversammlungen und zu Krisensitzungen führen.

Da geht es nicht um Wertstoffe, sondern um Menschen. Aber auch die wollen viele nicht haben, zumindest nicht an der eigenen Straße. Kunst trifft die Lebenswirklichkeit auf dem Karolinenplatz - wenn man sich auf die vielfältigen Assoziationen einlässt, während der Fahrt in der sanft schaukelnden Tram.

© SZ vom 15.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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