Pop und Abstraktion:Soundtrack für unsere Zeit

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Mut zum Musikexperiment: das Frameworks Festival im Netz

Von Jürgen Moises, München

"Wir schaffen es nicht mal aufzuessen, aber wollen trotzdem mehr". So heißt es im Song "Doggy Bag" des aus Japan stammenden, in Berlin und Leipzig ansässigen Duos WaqWaq Kingdom. Gemeint ist damit, dass wir, wie es der Titel verrät, übriges Essen mit nach Hause nehmen. Im weiteren Sinne wird aber auch unsere Konsumgesellschaft kritisiert, in der wir shoppen und shoppen, aber nie zufrieden sind. Und in der wir aus den Geschenken unserer Erde ein Geschäft machen. Vor allem zu Weihnachten ist das nicht die schlechteste Botschaft. Weil dieses vor allem ein Konsumfest ist und zudem Konsum und Corona eng verknüpft sind. Und das nicht nur, weil wir uns beim Einkaufen damit anstecken können.

Letzteres hatten Shigeru Ishihara und Kiki Hitomi noch nicht im Sinn, als sie "Doggy Bag" 2019 veröffentlichten. Wenn sie den Song aber nun beim Münchner Frameworks Festival darbieten, das vom 18. bis 20. Dezember online stattfindet, dann dürfte diese Assoziation mitschwingen. Das heißt irgendwo zwischen dem Allerlei aus japanischer Folklore, jamaikanischem Dancehall, Dub, Techno und Super-Nintendo-Sounds, das WaqWaq Kingdom zusammenrühren. Live auf der Bühne ist das meist noch mit schrägen, oft japanisch inspirierten Outfits verbunden sowie mit einer hypnotischen Performance.

In einen Club wie dem Blitz hätte das gut gepasst. Dort fand das auf Grenzgänge zwischen experimentellem Pop und "abstrakter Komposition" spezialisierte Frameworks Festival zuletzt nach Jahren im Einstein Kultur statt. Aber das Blitz ist dicht. Und so kann man sich nun zumindest über ein, so Veranstalter Christian Kiesler, "grandioses Lofi-Couch-Video" von WaqWaq Kingdom freuen. Die beiden haben ihr Video genauso wie die anderen Musiker im Vorfeld aufgenommen. Es finden also keine Live-Streams statt. Ein Konzept, wie es schon bei "Frameless" zum Zug kam, dem digitale Musik und Kunst verbindenden Ableger von Frameworks, den Karin Zwack seit 2015 leitet.

Insgesamt sechs Beiträge sind es, die man sich drei Tage lang auf der Website anschauen kann. Darunter sind "Visual Videos" oder Live-Auftritte. Fast alles wurde extra für Frameworks produziert. Eine Ausnahme ist Laurel Halo, die ihr Video auch beim Berliner Dice Festival zeigen wird. Halo ist eine in Detroit geborene, in Berlin lebende Musikerin, die sich zwischen Avantgarde-Pop, Minimal-Techno, Ambient und Soundtrack, zwischen Dancefloor und Museum bewegt. Ebenfalls zwischen Dancefloor und Museum ist Darren Jordan Cunningham alias Actress unterwegs. Der Londoner macht experimentellen Techno, mit dem er auch schon mal wie bei seiner 2019 mit dem London Contemporary Orchestra realisierten Oper bei Karlheinz Stockhausen andockt.

Von Jazz, Minimal Music und fernöstlicher Rhythmik ist der Münchner Schlagzeuger Simon Popp beeinflusst, den man von Projekten wie Fazer kennt. Jetzt tritt er mit seinem Solo-Projekt Popp in Erscheinung. Als Theater-, Fernseh- und Hörspielkomponist hat sich der Kölner Gregor Schwellenbach einen Namen gemacht. "Dystopische Schlaflieder" hat ein Kritiker die Elektronikstücke der in London lebenden, australischen Musikerin, Fotografin, Video- und Performancekünstlerin Penelope Trappes genannt. Klingt nach dem passenden Soundtrack für unsere Zeit.

Frameworks Festival 2020 , bis 20. Dezember, www.frameworks-festival.de

© SZ vom 19.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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