Politische Bildung:Debatte mit Aussicht

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Demokratie bedeutet, seine Meinung äußern zu können. Gelegenheit vor Publikum war in den Gondeln des Riesenrads oder im Speakers’ Corner. (Foto: Johannes Simon)

Die "Lange Nacht der Demokratie" im Werksviertel bringt Menschen im Riesenrad miteinander ins Gespräch

Von Sabine Buchwald

Aus der Vogelperspektive wird der Mensch zum Menschlein. Gelegenheit, für eine solche Einsicht und um sein Ego in Schranken zu weisen, bietet die Aussicht von einem Riesenrad, wie es im Werksviertel steht. "Umadum" heißt es dort, und bei der "Langen Nacht der Demokratie" (LNDD) am Samstag drehte es sich von 16 Uhr bis Mitternacht pausenlos und gratis umadum, also immer rund herum. Ab 19.30 Uhr ging es in den 27 weißen Gondeln noch in anderer Hinsicht rund: Sie wurden zu Diskussionsorten. Immer acht Personen durften unter Wahrung der 3-G-Regeln und nach einer Taschenkontrolle hoch in die Luft. Angeregt von ehrenamtlich teilnehmenden Vertretern verschiedenster Organisationen (alle im weiteren oder näheren Sinne mit politischer Bildung befasst wie das Wertebündnis Bayern), sollten sie ins Gespräch miteinander kommen: über die Zukunft der Europäischen Union beispielsweise, über demokratische Werte oder über die Legalisierung von Cannabis.

Die Fahrgäste wussten nicht, mit welchem Thema und mit wem sie das Vergnügen haben würden. Ein Wagnis? "Eine ganz tolle Sache!" So formuliert es spontan eine Frau am Ausgang des Riesenrads, die soeben 30 Minuten über Möglichkeiten demokratischen Handelns nachgedacht hatte. Sie sei ganz schön beschäftigt gewesen, die Aussicht zu genießen und mit zu diskutieren, erzählt eine andere Teilnehmerin nicht weniger begeistert. Die Zeit sei viel zu schnell vergangen.

Eine "sehr ruhige, dichte Atmosphäre" und einen "respektvollen Umgang" unter den Fahrgästen hat Projektleiter Christian Boeser bei seiner Riesenrad-Tour erlebt. Boeser, Leiter des Netzwerks Politische Bildung Bayern und Dozent an der Uni Augsburg, hatte 2012 dort die erste LNDD initiiert. Mittlerweile haben das offene und niederschwellige Konzept bayernweit mehr als 30 Kommunen übernommen. Die Idee dahinter: das Verständnis für Demokratie zu vertiefen, Organisationen zu vernetzen, Gemeinsamkeiten zu stärken. So erklärt Boeser das Anliegen der Veranstaltungen. Allein in München hätten 500 Personen zusammengewirkt und gut 3000 Menschen im Werksviertel erreicht, neben anderem mit dem "Umadum" oder dem Speakers' Corner. Corona-bedingt musste die LNDD auf 2021 verschoben werden. Wann die nächste kommen wird, ist unklar. Die Veranstalter denken an eine Biennale.

Definitionen von Demokratie und Liebeserklärungen an diese Gesellschaftsform waren bei der Auftaktveranstaltung aus prominenten Mündern zu hören. Für die Landtagsabgeordnete Gülseren Demirel (Bündnis 90/Die Grünen) etwa ist Demokratie "kein abgeschlossenes Projekt", sondern etwas, was man weiterentwickeln müsse. Für Rabbiner Tom Kučera ist es eine Lebensform, die nur mit "Menschlichkeit und ohne Ressentiments stark und durchsetzungsfähig ist". Kabarettistin Luise Kinseher findet, dass Demokratie mit Wiederkäuen zu tun hat. Sie forderte, den bayerischen Löwen durch eine Kuh zu ersetzen. Sie sei weniger fürs Brüllen als für ein gelassenes Muh.

© SZ vom 04.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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