Personen im Gleis:43.500 Minuten Stillstand bei der Münchner S-Bahn

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Kommt nicht selten zu spät: die S-Bahn in München. (Foto: Frank Leonhardt/dpa)

Fahrgäste nehmen die Abkürzung über die Gleise, Kinder nutzen die Anlage als Spielplatz: Wegen "Personen im Gleis" kommt es immer häufiger zu Störungen im öffentlichen Nahverkehr. Auch Notarzteinsätze führen zu Verzögerungen - doch zumindest dafür gibt es eine Lösungsidee.

Von Marco Völklein

Erfahrene S-Bahn-Nutzer haben den "Streckenagenten" der Deutschen Bahn abonniert. Der schickt ihnen bei Störungen per E-Mail eine Warnung aufs Smartphone. In den vergangenen Wochen meldete der Service immer wieder Probleme auf einzelnen Abschnitten wegen "Personen im Gleis". Ein Problem, mit dem sich die Bahn immer häufiger herumschlagen muss: 2013 zählte der Konzern allein bei der Münchner S-Bahn nach einer ersten Grobschätzung mehr als 300 Störungen wegen Personen im Gleis. Zum Vergleich: 2011 waren es 237 Störungen gewesen, 2012 hatte es 262 Zwischenfälle gegeben.

S-Bahn-Chef Bernhard Weisser nennt den "Verfall der Disziplin" als Grund für die gestiegene Zahl. So würden immer häufiger Fahrgäste nicht die Unterführungen und Übergänge an den Stationen nutzen, sondern lieber den direkten Weg quer über die Gleise nehmen. Was erfahrene S-Bahn-Mitarbeiter und Bundespolizisten vor allem während des Oktoberfestes an der Hackerbrücke feststellen, passiert mehr und mehr auch unterm Jahr und an anderen Bahnhöfen. Mit Infobroschüren versucht die Bundespolizei, die für die Sicherheit an Bahntrassen verantwortlich ist, auf die Gefahren hinzuweisen. Insbesondere Kinder entdecken immer wieder Gleisanlagen als beliebten, aber äußerst gefährlichen Abenteuerspielplatz.

Gleise werden aus Vorsicht gesperrt

Werden Personen im Gleis entdeckt, rücken Beamte der Bundespolizei aus - und lassen allein schon als Vorsichtsmaßnahme nicht selten den betreffenden Gleisabschnitt sperren. Was dann zu teils erheblichen Behinderungen bei der Bahn führt: So summierten sich laut Weisser im Jahr 2013 die durch solche Zwischenfälle verursachten Verspätungen bis Ende November auf 43.500 Minuten - also gut 30 Tage.

Immer wieder fordern daher Anwohner, besorgte Eltern und genervte Fahrgäste von der Bahn, Zäune an besonders gefährdeten Bereichen zu errichten. Doch Weisser lehnt das ab. Es sei schlicht nicht möglich, alle oberirdischen Strecken, die allein im Münchner S-Bahn-Bereich 430 Kilometer umfassen, abzusichern. Wenn überhaupt jemand Zäune errichten sollte, dann wäre das die Stadt, sagt Weisser. Die hatte zum Beispiel in Laim an einer Schule, die nahe an den Gleisen liegt, auf eigene Kosten einen Zaun gebaut. Seitdem kam es dort laut Bundespolizei zu keinerlei Zwischenfällen mehr.

Störungen nach Notarzteinsätzen

Aber nicht nur die steigende Zahl der Personen im Gleis bereitet den Verantwortlichen der S-Bahn Kopfzerbrechen. Immer wieder kommt es auch zu Behinderungen und Störungen, weil Züge wegen eines Notarzteinsatzes an einem Bahnhof stehen bleiben müssen und dann die Strecke blockieren. Zwar sind die Zahlen in diesem Bereich leicht rückläufig: So zählte die S-Bahn im vergangenen Jahr etwa 220 solcher Zwischenfälle (2012 waren es 249 Notarzteinsätze, 2011 exakt 245), dennoch sieht Weisser Handlungsbedarf. Insbesondere bei Notarzteinsätzen im S-Bahn-Tunnel schaukeln sich solche Zwischenfälle nicht selten zu Großstörungen auf, bei denen die Durchfahrt durch den Tunnel mitunter ganz gesperrt werden muss - je nachdem, wie lange der Notarzteinsatz dauert.

Die S-Bahn-Planer haben daher zuletzt verschiedene Maßnahmen geprüft, um solche Störungen zu vermeiden. Angedacht war unter anderem auch, "ausgebildete Ersthelfer" beispielsweise von Hilfsorganisationen während der Hauptverkehrszeiten anzuheuern und an den Tunnelbahnhöfen in der Innenstadt zu stationieren. Kippt dann zum Beispiel ein Fahrgast in einer S-Bahn um, könnte der Helfer an einer der Stationen den Patienten aus dem Zug auf den Bahnsteig bergen und dort versorgen, bis Notarzt oder Rettungswagen eintreffen - der Zug kann dann weiterfahren.

Den Einsatz solcher externen Ersthelfer hat Weisser aber mittlerweile wieder verworfen. Künftig sollen die Mitarbeiter der Bahn, die an den Stationen ohnehin Dienst tun, speziell geschult werden, um in Notfällen Patienten aus dem Zug holen und betreuen zu können. Im "Laufe des Jahres" sollen die Schulungen abgeschlossen sein. Dann soll das neue Konzept greifen.

© SZ vom 13.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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