Osten:Jubiläums-Erfolg

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Bei der zehnten Ausgabe der "Truderinger Kunsttage" präsentieren 30 Künstler ihre Werke - und das Publikum kürt seine Favoriten

Von Renate Winkler-Schlang

Peter Gierse hat noch kurz vor Mitternacht dieses strahlende Dauerlächeln. Es ist ein besonderer Tag für den Erfinder und Jury-Vorsitzenden der Truderinger Kunsttage, die seit zehn Jahren an Ostern aus dem kubischen Kulturzentrum an der Wasserburger Landstraße ein temporäres Museum zeitgenössischer Kunst machen. Gierse, früher Manager in der Automobilindustrie, als Künstler ein Autodidakt, hatte sich gefreut, als der städtische Kulturreferent Hans-Georg Küppers zum Jubiläum die Eröffnungsrede halten wollte. Dass Küppers ihm dabei als Anerkennung die Urkunde "München dankt" überreichte, kam überraschend, machte ihn verlegen, aber auch sichtlich stolz.

Holzstelen vor flammendem Abendhimmel am Truderinger Kulturzentrum. (Foto: Robert Haas)

Den guten Ruf der Kunsttage, die der Trägerverein des Hauses gemeinsam mit dem Kulturkreis veranstaltet, belegen Zahlen: Im vergangenen Jahr hatten 2000 Besucher die nur viertägige Ausstellung gesehen. Mehr als 150 Künstler nicht nur aus München, sondern sogar aus Nachbarländern wie Luxemburg und der Schweiz, hatten sich dieses Mal beworben. Die Jury, die Gierse der neuen Impulse wegen in jedem Jahr anders besetzt, hat in großer Übereinstimmung 30 davon ausgewählt.

Verstörende Fotografien, eindringliche Porträts: Im Truderinger Kulturzentrum erwarten die Besucher interessante Exponate. (Foto: Robert Haas)

Ingo Mittermeier, Vorsitzender des Trägervereins, freute sich, dass zum runden Geburtstag erstmals ein haushohes Kunst-Banner mit einem von Corinna Naumann geschaffenen Porträt die Fassade dominierte, während sich auf der Wiese hinten das bordeauxrote Kulturzentrum mehrfach in Peter Schwenks aufgetürmten Silberkugeln spiegelte und von Dana Lürkens sanft klimperndem "Eierperlenbaum" gleichsam eingerahmt wurde.

"Ein niederschwelliges Angebot mit hohem Qualitätsniveau", so lobte Küppers die Zusammenstellung aus Malerei und Skulptur, Fotografie und Keramik, Stoffcollagen, Holzdruck, Computerkunst. Die Niederschwelligkeit erreicht Gierse mit dem von der BMW Automag-Filiale gestifteten Publikumspreis, der am Ostermontag gleich an drei Künstler gehen soll. Wie gut, dass der neugierige Gast, der abstimmen soll, jeden zur Anwesenheit verpflichteten Künstler befragen darf nach Intention und Arbeitstechnik. Für Hong Yun He antwortet eifrig und charmant ihre kleine Tochter Iris, denn die Künstlerin selbst ist gerade im Gespräch mit einem jungen Paar. Elisabeth Kathari staunt derweil über das Werk "Psychosexdelische Knoten, Schleifen und Knäuel". Allein dafür will sie dem Maler David Dott eine ihrer vier Stimmen geben, auch wenn sie sein "Querverspiegletes Eulchen" als "irgendwie unfertig" empfindet. Dott nimmt es mit Gelassenheit. Francesco Ferrante, der Mailänder aus Nürnberg mit dem Künstlernamen Francesco Neo, ist schon an seinem Outfit als Künstler zu erkennen: Rosa Brille auf grüner Mütze, hellgrüne Kette zu dunkelroten Glanz-Jackett, untenrum Lederhosen mit geringelten Pippi-Langstrumpf-Socken: "Ich hab schon was verkauft", jubelt der Schöpfer von fast grellen Porträts mit neonrosa Lippen, teils gemalt, teils gesprüht. "Appellcharakter", hatte Küppers gesagt: "Die Werke existieren nur, weil wir da sind, sie sprechen uns an. Dafür braucht man kein Kunstkritiker, kein Experte zu sein." Einen wirklich deutlichen Appell stellen die drei großformatigen, mit Klebeband befestigten Lampedusa-Fotografien mit dem Titel "Endstation Sehnsucht" von Brigitta-Maria Lankowitz dar. Analog hat sie fotografiert, den surreal-beängstigenden Gelbstich im Himmel schon bei der Aufnahme durch einen Filter erreicht. Das rechte Foto zeigt nur das Meer: "Da kommen sie her, die Flüchtlinge." In der Mitte liegen gelassene Boote, auf der Seite ein Wächter von hinten vor einer Mauer. Die Erklärungen, die sie zu ihrem Zyklus verfasst hat, lässt die Künstlerin aus dem Handtuchspender im Raum quellen. "Manche schauen betreten weg, aber ich hatte auch schon tolle Resonanz heute Abend", freut sich die Münchnerin, die ihr Atelier in der Platform an der Kistlerhofstraße hat. Sie teilt sich den Ausstellungsraum mit Jutta Körner und ihren glatten, abstrahierten Keramik-Stieren und der Luxemburgerin Josiane Ginter und deren raumhohen plakativen Holzdrucken. Sie hätten sich bemüht, den Raum gemeinsam gut aufzuteilen und zu gestalten, sagt Ginter, ehe sie wieder einmal erklärt, wie genau sie vorgeht: "Das ist aber viel Arbeit", sagt eine Frau anerkennend.

Jury-Chef Peter Gierse fachsimpelt mit dem Ehrengast, Kulturreferent Hans-Georg Küppers. (Foto: Robert Haas)

Wohin soll man sich wenden? So vieles könnte noch interessant sein. Petra Beeking zum Beispiel erklärt, wie sie alte, statische Schwarz-weiß-Aufnahmen von Hochzeits- oder Brüderpaaren mit einem hauchfein gestickten Netz gleichsam vor dem Vergessen rettet. Auf der Empore hat die 25-jährige Jessica Strixner ihre Kompositionen aus massiven hölzernen Wurzeln und federleichten Styroporkugel-Vögelchen aufgebaut und schildert, wie sie jedes einzelne Kügelchen aus einem Block friemelt, sie für die zarten Flügelchen sogar teilweise plattdrückt. Evelyn Jungnick-Endl baucht erst einmal einen Schluck Wasser, sie ist schon heiser von den vielen Gesprächen über ihre aus bemalten Stoffen geschaffenen Bilder. Mit Petra Kuptz könnte man noch lange über ihre kraftvollen Vogelbilder reden, mit Ingrid Klein über farbmodellierte Linien ihrer Computerbilder. Auf dem Balkon überm Foyer lehnt Philipp Liehr an einem Tisch und erzählt, an welchen "emotionsgeladenen" Orten er seine Modelle und Ideen findet. Rote Stiere, dem Teilchenbeschleuniger CERN gewidmete farbenfrohe Malerei von Arthur Schneid, gemalte Maschinen, ausdrucksstarke Porträts von Monika Lehmann, Märchenhaftes und Abstaktes, Bilder und ihre Geschichten, Künstler und ihre Absichten, alles drin in diesem Haus.

Das Publikum im Truderinger Kulturzentrum hat viel zu diskutieren. (Foto: Robert Haas)

Annette Braune schafft aus Hasendraht, Hanf und ein wenig flüssigem Gips filigrane, dünnhäutige, bewegende Wesen: Vielleicht ist sie ja Favoritin für die letzte Stimme, die man zu vergeben hat? Schade, dass Küppers keine Muße hatte, mit zu wählen. Es ist spät geworden. Peter Gierse aber ist noch da, er räumt noch die Scheinwerfer weg.

Die Schau im Kulturzentrum an der Wasserburger Landstraße 32 ist noch zu sehen täglich bis Ostermontag von 14 bis 18 Uhr.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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