Opferberatungsstelle Before zieht Bilanz:Den Alltag zur Hölle gemacht

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Diskriminierung gibt es am Arbeitsplatz, bei Behördengängen und im Wohnumfeld besonders häufig

Von Martin Bernstein

In praktisch allen Lebensbereichen findet in München Diskriminierung statt - am häufigsten am Arbeitsplatz. Mit 22 derartigen Fällen hatten es die Experten von der Opferberatungsstelle Before im vergangenen Jahr zu tun. Diskriminierung und rassistische Bemerkungen erleben Betroffene aber auch bei Behördengängen (16 Fälle) und im Wohnumfeld (14). Ein neuer Schwerpunkt zeigte sich nach Before-Angaben im Bildungsbereich, mit insgesamt zwölf Fällen in Schulen und Universitäten. "Diskriminierungen im direkten alltäglichen Umfeld können den Betroffenen den Alltag zur Hölle machen", sagt Léa Rei, Beraterin bei Before.

"Unsere Arbeit ist ein Seismograf für das, was sich in der Stadt tut", sagt Siegfried Benker, geschäftsführender Vorstand des Münchner Vereins Before, der sich um Opfer von Diskriminierung und rechter Gewalt kümmert. Und dieser Seismograf zeigt an: Rechte Gewalt ist auch in München ein Problem - nicht erst, aber verstärkt seit den rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz Ende August. 174 Beratungsfälle hatte der Opferhilfeverein im vergangenen Jahr. Bundes- und Landespolizei hatten vergangenes Jahr rund 35 mutmaßlich rechtsradikale Gewalttaten gemeldet. Eine Jahresbilanz der Polizei, deren Zahlen noch höher ausfallen dürften, gibt es erst im März. 2017 hatte die Polizei 29 rechte Gewalttaten registriert, dazu weitere Fälle von Nötigung oder Bedrohung.

Die Zunahme rechter Gewalt weist für Benker auf ein verändertes gesellschaftliches Klima hin. "Ausgrenzung hat Konsequenzen und fordert Opfer", sagt der Before-Geschäftsführer. Rassisten, Rechtsextremisten und Schwulenhasser verstünden derartige Debatten als "Selbstermächtigung zur Gewalt". Die 79 Fälle, in denen Before-Opferberater im vergangenen Jahr insgesamt 150 Betroffene begleitet haben, spielten sich nach Angaben der Organisation vor allem im öffentlichen Raum, aber auch im Wohnumfeld ab.

Rechte Gewalt belastet die Opfer und ihre Angehörigen oft ein Leben lang: "38 Jahre nach dem Oktoberfestattentat benötigen Betroffene weiterhin Unterstützung", heißt es bei Before. 2018 richtete die Stadt einen Fonds für die Opfer ein. Über die Beratungsstelle können Betroffene Anträge auf Unterstützung gegen die anhaltenden Folgen der Tat stellen. Auch Menschen, die durch den mutmaßlich rassistisch motivierten Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum 2016 getroffen wurden, begleitet der Verein. Benkers Forderung: "Wir dürfen unter keinen Umständen die Fehler der Vergangenheit wiederholen und müssen Betroffenen direkt und unbürokratisch helfen." Dafür sei es wichtig, rechte Gewalt eindeutig als solche zu benennen, ein Schritt, den die bayerischen Behörden seiner Meinung nach auch im Falle des OEZ-Attentats endlich machen sollten.

Den Abschluss des NSU-Prozesses am Münchener Landgericht im vergangenen Jahr bewerten die Before-Experten zwiespältig. Einerseits sei er ein wichtiger Schritt in der Auseinandersetzung mit dem rechtsterroristischen NSU-Komplex gewesen. "Nach den teils milden Urteilen" sei aber auch klar, dass das Prozessende kein Schlussstrich unter die Aufklärung des NSU-Netzwerks sein könne. Das zeige nicht zuletzt die Serie von mit "NSU 2.0" gezeichneten Drohbriefen gegen die Anwältin Seda Başay-Yıldız, die sowohl im NSU- als auch im OEZ-Waffenhändler-Prozess Opferfamilien vertrat. Die milden Strafen waren nach Benkers Einschätzung "ein Signal, das in die rechte Szene hineinwirkt": Wer den NSU auf nur drei Personen reduziere, ermutige deren Umfeld.

Dass im Jahr 2018 auch 23 Kinder und Jugendliche in der Opferberatung von Before begleitet wurden, zeige, welches besorgniserregende Ausmaß rechte Gewalt angenommen habe, sagt Before-Pressesprecher Damian Groten. Dagegenhalten könne jeder, glaubt Siegfried Benker. Man müsse Position beziehen statt wegzuschauen. In der Pflicht sieht der Before-Geschäftsführer auch die Münchner Kommunalpolitiker. Im jetzt beginnenden Kommunalwahlkampf dürften sie "keine Stimmungen erzeugen, die den gesellschaftlichen Frieden stören".

© SZ vom 22.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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