Oper: L'elisir d'amore:99 Luftballons ins Glück

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Am Ende zählt, bei allen Kriegen, die Liebe: Die Donizetti-Oper "L'elisir d'amore", in München ein Spiel mit einem gewissen Zauber. Am Ende Jubel für einen poetischen Helden.

Hans-Jürgen Jakobs

Irgendwann klettert der Held, der keiner ist, immer höher auf den Laternenmast hinauf. Da singt er von seiner Liebe und der schwierigen Liebsten, von einer Romanze, die weit über die Tristesse dort unten reicht. Waagrecht liegt er in der Luft, jener liebestrunkene Nemorino, und seine Stimme erobert an diesem Abend programmgemäß nicht nur die störrische Adina, sondern auch das Münchner Opernpublikum.

Giuseppe Filianoti als Nemorino in Gaetano Donizettis Oper "L'elisir d'amore". (Foto: Foto: Wilfried Hösl)

Eine Premiere, die ankam, was bei der Eingängigkeit der Musik nicht verwundert.

Sie ist ja auch zu schön, die Geschichte des Verzweifelten, der immer verzweifelter wird, und damit auf seine Art auch immer stärker. Der an das Falsche glaubt, aber am Ende die Richtige bekommt - ein Charlie Chaplin, der in der Soldatenwelt der Männer der Poesie des Gefühls zum Erfolg verhilft. Das alles wirkt wie ein Liebeszaubertrank, wie "L'elisir d'amore", und so schafft es das im Grunde simple, fast 180 Jahre alte Singspiel des Gaetano Donizetti in der heutigen Erwachsenenwelt so etwas wie die Emotion eines Kindergeburtstags auszulösen.

Das liegt sicher auch an der Inszenierung, vor allem aber am Hauptakteur Giuseppe Filianoti, der den Nemorino mit sanfter Bestimmtheit zeigt, ein glücklicher Narr, der einem Bodenturner gleich die Dimensionen des Raumes erfasst, und auf dem Höhepunkt seiner erotischen Verwirrungen in Unterhemd und Unterhose von der Frauenriege in die Luft geworfen wird. Tänzelnd gibt er entkleidet sein chaplineskes Solo, ohne entblößt zu sein.

Rettung per Mund-zu-Mund-Beatmung

Dem Charme dieses italienischen Sängers kann sich keiner entziehen, zumal, wenn diese linkische Ausdrucksstärke zusammenfällt mit der heiteren, gelassenen Ausstrahlung von Nino Machaidze, einer Georgierin, die als Adina geradezu schelmisch, fast selbstironisch am Schluss per Mund-zu-Mund-Beatmung den im Liebestaumel ohnmächtig gewordenen Nemorino rettet. Sie ist in diesem Spiel die größte Gaunerin, weil sie keinen angeblichen Zaubertrank braucht, sondern ihre Tränen einsetzen kann. Sie ist die Eroberin, die das Gefühl gibt, erobert zu werden.

Der Regisseur David Bösch lässt diesen unendlichen Kitzel der Liebe seine Macht in einer Ödnis entfalten, in einem südländischen Dorf, dessen Bewohner trotz aller Ärmlichkeit nicht aufgegeben haben. Sie hoffen auf etwas, dass da kommen möge. Luftballons steigen auf, Gießkannen werden über die Bühne getragen, und dann trudeln Fallschirmchen herab.

Sie kündigen den um Adina buhlenden Sergeant Belcore (angemessen kraftvoll: Fabio Maria Capitanucci) und seine Landsertruppe an. Die Soldateska erscheint hier wie ein Häufchen amerikanischer Waffenträger, die im Irak Siedlungen inspizieren. Ab und an muss ein blutverschmierter Krieger an das Grauen dieser Männerwelt erinnern, in der fortwährend Schlachten geschlagen werden, am liebsten um Frauen. Auch wird eifrig, ein wenig effekthascherisch, mit Pistolen hantiert.

Die messianische Erscheinung, die Verkörperung der Hoffnung, ist dann der Quacksalber Dulcamara, den Ambrogio Maestri mit viehischer Urgewalt gibt. In einer Art Bärentanz-Nummer steppt er mit dem Helden Nemorino über die Bühne. Dieser merkwürdige Medikus preist Bordeaux als Wundertrank, und lässt den liebenden Hauptdarsteller gegen Geld so ausgiebig trinken, dass am Ende tatsächlich Glaube Berge versetzen kann, auch wenn es Aberglaube ist. So kann sogar die Hochzeitsfeier Adinas mit Belcore noch gestoppt werden.

Diesen Gaukler Dulcamara, der sein Elixier am Ende sogar als Mittel für Reichtum preisen kann, präsentiert Regisseur Bösch in einem landwirtschaftlichen Phantasiefahrzeug, irgendwo zwischen Mähdrescher und Traktor konstruiert. Überall blinkt es. Und dann ist da ein überdimensionaler Tank, der alle möglichen Assoziationen erlaubt, zum Beispiel an Jules Verne und seinen Kapitän Nemo erinnern lässt. Aus diesem futuristischen Tank zischt und dampft es. Die Nebelmaschine nebelt ein. Daneben schweben große erleuchtete Herzen über der Bühne. Der Kitsch ist nicht weit weg, aber Peinlichkeiten bleiben erspart. Wer will, kan kann genießen.

Es ist wie bei Federico Fellini: Die Illusion hält Einzug und verändert die Menschen. Ein bisschen ist es auch wie im italienischen Privatfernsehen des Silvio Berlusconi, mit seinen Orgien der Lichter und Farben, mit seiner inszenierten Fröhlichkeit und der offenen Frivolität. Mit Dulcamara hält das Prinzip "Traumfabrik" Einzug, doch das Wunderbare bei Donizetti ist, dass daraus am Ende das Beste erwächst, was passieren kann. In der Inszenierung Böschs fliegen 99 Luftballons ins Glück.

Eine neue Zaubergestalt am Münchner Nationaltheater

"L'elisir d'amore" in München ist ein luftig-lustiges Spiel mit den menschlichen Möglichkeiten, eine verspielte Entdeckung der Liebe, komödiantisch, mit Mut zum gehobenen Klamauk, die Momente der Revue behutsam genug einsetzend. Bösch hat diese Opera buffa auf unterhaltsame Weise freigelegt. Es bleibt eine erträgliche Leichtigkeit des Seins, ein Lächeln über die Liebe. Und die Gewissheit, dass mit Giuseppe Filianoti eine neue Zaubergestalt das Münchner Nationaltheater bereichert. Vor einem Jahr war der Startenor unter merkwürdigen Umständen an der Mailänder Scala kurz vor der Eröffnung der Opernsaison mit "Don Carlos" gefeuert worden.

Am Ende steht er mit seiner Adina wie im Film Titanic ganz oben auf dem Riesentank, ein Kapitän Nemo auf geglückter Expedition. Nur die Liebe zählt, oder was man dafür hält, das ist die letzte Botschaft. Alles ist Projektion, aber es kann gutgehen.

Frenetischer Applaus des Publikums. Wenige Buhs, aber lautes "Bravo" für diese Inszenierung. Natürlich: Filianoti wird gefeiert. Ein Abend mit einem gewissen Zauber.

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