NullAchtNeun:Die Freiheit des Mehmet Scholl

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Ballaballa: Warum fällt Fußballern nichts Besseres ein, als in ihrer Freizeit ausgerechnet in ein Sportgeschäft zu gehen?

Harald Hordych

Es ist ja viel darüber geschrieben worden, dass diese Zeitung nicht mehr von der Innenstadt ihre Reporter aussendet, aber noch nichts ist über den Verlust einer der wahren Schnittstellen des Lebens gesagt worden. Nämlich die, welche im Niemandsland zwischen Färbergraben, Sattlerstraße und Fürstenfelder Straße, zwischen Post, Redaktion und Sportscheck verlief.

Immer dem Ball nach: Auch in ihrer Freizeit beschäftigen sich Fußballer wie Mehmet Scholl mit dem Sport. (Foto: Foto: AP)

Hier, an diesem wie so viele Parkplätze letztlich unspektakulären Parkplatz, den man öfter gesehen hat als alle Innenstadtplätze sonst, ergaben sich ungeheuere Begegnungen, von denen man heute, in Steinhausen, nur träumt. Die aber viel über München und seine Qualität als Sammelpunkt sportiver Stars aussagten, allerdings auch über diese Stars selbst.

Auslöser ist der Blick auf die Allianz-Arena, den wir jetzt im Osten genießen, und die abends in herrlichem Rot oder wundersamen Blau leuchtet, ein ferner Ort, den man im Fall von Bayern München mangels frei erwerbbarer Karte kaum erreichen kann und im Fall von 1860 München mangels masochistischer Ader nicht erreichen will.

Dort also spielen sie Fußball, damals wie heute, aber wenn man die Stars doch mal ganz nah sehen wollte, musste man nur den Färbergraben rauf und runter gehen, bis einem irgendwann Martin Demichelis, Mehmet Scholl oder Felix Magath über den Weg liefen. Phantasielose Menschen begnügten sich dann mit einer einfachen Erklärung: Sind die Herren wohl wieder mal beim damals hier noch ansässigen Doktor Müller-Wohlfahrt vorstellig geworden.

Doch wer das Leuchten in den Augen der Helden sah, wusste es besser: Die Idole der Werbewirtschaft hatten ihre Sponsoren gerade schwer ausgetrickst und den Trainingsanzug eines FC Bayern-fernen Herstellers erstanden. Ein nicht unerhebliches Vergehen im Profi-Leben, doch auch ein Schritt aus dem Marketinggefängnis in die Freiheit des Marken-Individuums!

Dennoch stellt sich die Frage, warum Fußballern nichts Besseres einfällt, als in ihrer Freizeit ausgerechnet in ein Sportgeschäft zu gehen? Wenn Fußballer nach ihren Hobbys befragt werden, nennen sie in der Regel wahlweise Golf, Tennis oder manchmal, unmittelbar nach dem Spiel, noch benommen vom letzten Kopfball, Tischtennis. Warum nichts anderes? Wie kann man sich beim Sport vom Sport erholen? Es gibt allerdings auch unter den Menschen, die den ganzen Tag nichts anderes tun als zu lesen, viele, die, fragt man sie nach ihrem Hobby, antworten: Lesen.

Das zeigt, dass Sportler nichts Unrechtes tun, wenn sie sich zum Zwecke der Selbstverwirklichung noch ein paar Turnschuhe kaufen. Im Grunde hilft diese Erkenntnis auch, München besser zu verstehen. In keiner Stadt sonst sieht man so viele Gaststätten, die nach der Straße benannt sind, in der sie liegen. Der Gipfel der Einfallslosigkeit?

Nein, nur der Beweis, dass man das, was man tut, als das Richtige erkannt hat. Dass man dort, wo man lebt, gerne lebt. Und dass man über bestimmte Dinge nicht lange rumgrübeln, sondern mit dem Blick aufs rotgefärbte Stadion sofort anfangen sollte, auf welchem Weg auch immer, eine Karte fürs nächste Heimspiel zu ergattern.

© SZ vom 07.02.2009/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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