Null acht neun:Ermordung des Glücks

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Wenn man eigentlich nie Krimis liest - und dann ausgerechnet an einen gerät, der vor der eigenen Haustür spielt

Von Johan Schloemann

Achtung: Ich lese eigentlich keine Krimis. Diesen Satz musste ich neulich auf der Buchmesse in Frankfurt, wohin alle Münchner Büchermenschen fahren, die sich endlich mal wieder sehen wollen, angemessen zerknirscht dem geschätzten Münchner Autor Friedrich Ani sagen. Ich durfte dort mit ihm vor Publikum über seinen neuen Jacob-Franck-Krimi "Ermordung des Glücks" plaudern. Friedrich Ani sagte daraufhin, er kenne diesen Satz, dass man eigentlich keine Krimis lese, ganz gut, eigentlich höre er ihn sogar ständig, was ihn angesichts der Millionenauflagen von Krimis ein wenig verdutze, aber dann sagte er zum Glück noch, dass er den Satz trotzdem sehr gern habe. Warum, habe ich vergessen, aber die nette Antwort befreite mich von meinen Ängsten, jedenfalls von der, dass ich ein Münchner Krimigespräch in Frankfurt mit dem dümmsten Satz angefangen hätte, mit dem man ein Krimigespräch anfangen kann.

Und doch nahm das der ganzen Sache leider nicht ihre Unheimlichkeit. Denn ausgerechnet dieser erste Krimi, den ich seit ungefähr zwanzig Jahren gelesen habe, handelt nicht nur vor meiner Haustür, sondern direkt in meinem Leben. Der erst vermisst gemeldete, dann getötet aufgefundene Junge, um den es geht (so viel darf man verraten, weil das gleich am Anfang passiert und im Klappentext steht), ging auf die Schule bei uns in der Nähe, an der meine Frau arbeitet. Der von der Polizei mit rot-weißem Band abgesperrte kleine Park, wo der Täter den Jungen aufgegriffen haben muss, ist ein Spielplatz, auf dem unsere Jungen oft gewesen sind. Und so geht das weiter in dem Buch, lauter Straßennamen, Schauplätze, von den Fahndern geortete Handys, mit denen mir dieser Krimi extrem nah an die Pelle rückt.

Wie konnte das passieren? Friedrich Ani, der wie ich in Giesing wohnt, hat es mir erklärt: Für seine früheren Krimis, die ich, sagte ich es schon?, alle leider nicht gelesen habe, habe er ja lieber einen anderen Ort, einen anderen Stadtteil gewählt und sich, zwecks Glaubwürdigkeit der Handlung, gründlich in die ihm unvertraute Topografie hineinrecherchiert. Dafür habe er aber diesmal keine Zeit oder keine Lust gehabt, weswegen er jetzt eben mal genommen habe, was ihm gleich zur Hand war.

Textökonomie in allen Ehren, ich finde ja meine Beispiele für Spuren echten, wahren Lebens außerhalb von Wohnung, Schreibtisch und Büro auch ausschließlich im unmittelbaren Nahbereich. Aber muss mir der Mann denn gleich so Angst machen? Wo er doch leicht seinerseits im Nahbereich hätte ermitteln können, dass ich sonst keine Krimis lese und deswegen etwas zarter hätte herangeführt werden müssen? Sagen wir mit einem Moosach- oder Neubiberg-Krimi, wie immer es auch an diesen Orten aussehen mag? Und dann lief jetzt kürzlich auch noch, nach meiner - übrigens äußerst seltenen - Krimilektüre, ein echter, verrückter Messerstecher durch dieselben Ecken im Münchner Osten. Man wird dort ja an sich schnell zu einem überzeugten Viertelmenschen, aber irgendwie ist mir das in dieser düsteren, modrigen Novembergrabesstimmung alles nicht mehr ganz geheuer.

Ich lese eigentlich keine Krimis.

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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