Null acht neun:Die Entzauberung der Liebesfunzel

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Früher haben Ampeln den menschlichen Fortpflanzungstrieb gefördert. Inzwischen bremsen sie den Verkehr aus und ärgern Rad- wie Autofahrer

Von Rudolf Neumaier

Leider sind Ampeln auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Ampeln waren Sehnsuchtsgeräte der Dichter. Immer wenn es einen besonders schönen Schein zu illuminieren galt, griffen die besten Poeten zur Ampel. "Schimmernd gießt die Ampel Dämmerwogen um dich her." Das Betörungsgedicht des Hugo von Hofmannsthal hatte zu Monaco Franzes Zeiten jeder mittelmäßige Münchner Stenz auf Lager, wenn weder Cabrio noch Alkohol in hoher Dosis verfingen. Auch der weithin unterschätzte Detlev von Liliencron kitzelt in seinem "Haidegänger" die erotische Potenz aus der Ampel heraus: "Amor hat längst schon die Ampel entfacht, komm mit in die lustigste Liebesschlacht." Gemeint ist mit dem Begriff "Liebesschlacht" zweifellos eine Art von Verkehr. Die gleiche Funktion erfüllt die Ampel schließlich bei Theodor Fontane, wenn er im Roman "Vor dem Sturm" Liebespaare schildert, "deren Herzensbeziehungen vielleicht nicht älter waren als dieser Abend" und die auf einer Fete in die Abgeschiedenheit eines durch "eine rubinrote Ampel erleuchteten Boudoirs" flohen. Rote Ampel hieß so viel wie heute grünes Licht: freie Fahrt zum One-Night-Techtelmechtel.

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