Null Acht Neun:Der Sommer der Adabeis

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Filmfest, Opernfestspiele, Tollwood, Fest der Jungbrauer, Stadtlauf - wer in München nichts verpassen will, muss sich arg anstrengen. Manche aber schaffen das mühelos

Kolumne von Christian Mayer

Ja, wenn man sich jetzt bloß entscheiden könnte, wo man hingehen soll, im hochsommerlichen München, das von einem Gesellschaftsereignis zum nächsten taumelt. Also, ganz klare Priorität: nach der Salome-Aufführung in der Staatsoper und der Filmfesteröffnung im Bayerischen Hof unbedingt am Wochenende noch in die Goldene Bar, zur nächsten Dachterrassenparty, danach an die Isar zum Abkühlen und aufs Tollwood zum Konzert. Und weil der große Phil-Collins-Rausch noch nicht gereicht hat, geben wir uns als Zugabe Bon Jovi im Olympiastadion, dazwischen passen locker drei, vier Premieren mit anschließendem Häppchen-Empfang beim Filmfest, der Festzug der Jungbrauer und der Stadtlauf. Wer in München nichts verpassen möchte, sollte schon wissen, wie man bei sieben Veranstaltungen gleichzeitig durch Anwesenheit glänzt.

Für erfahrene Adabeis ist das gar kein Problem. Während die meisten die Vorstellung eher abschreckend finden, in einem Festsaal bei 35 Grad neben Thomas Gottschalk und seiner neuen Flamme am Büfett festzukleben, finden die Adabeis das ungeheuer erregend. Besonders elektrisiert sind sie von jenen Momenten, wenn sie über den roten Teppich zum Kinosaal schreiten, natürlich im Zeitlupentempo, damit die Fotografen, die ohnehin nie so ganz wissen, welche wichtige Persönlichkeit sie da gerade vor sich haben, ihre Blitzlichtkanonen betätigen. Es ist übrigens ein angenehm prickelndes Gefühl, ein Knistern und Leuchten, viel schöner jedenfalls als ein langweiliges Selfie, wenn man das als Gelegenheits-Adabei mal so sagen darf: Wie bei einem intensiven Sonnenbad spürt man die Aufmerksamkeit geradezu physisch auf der Haut und in den Gliedern, man spürt den inneren Moshammer, manchmal sogar ein ganz leichtes Söderbrennen.

Klar, der Münchner Adabei hat schon seine Kontakte, aber eigentlich braucht er auch keine offizielle Einladung, er geht einfach hin, ohne Bändchen, aber erhobenen Hauptes. Mit der richtigen Haltung (lächelnd, ein Kopfnicken andeutend, kombiniert mit einer stenzhaften Grandezza) kommt er an jeder Einlasskontrolle vorbei. Am besten funktioniert das, indem man sich tuschelnd an die Fersen einer stadtbekannten Schauspielerin heftet oder sich von einem guten Freund mit Zugangsberechtigung ein Glas nach draußen reichen lässt. Wer würde es wagen, einen Gast abzuweisen, der mit dem Champagnerkelch durch jede Münchner Vernissage tänzelt wie einst der große Gatsby?

Natürlich hat der Adabei nicht die Zeit und die Kraft, den ganzen Abend auf einer Veranstaltung zu verbringen, das wäre ja tödlich langweilig. Er muss immer weiter, zur nächsten Feier, zum nächsten Aperol Spritz, zur nächsten Aufmerksamkeitsdusche, aber zuvor verteilt er augenzwinkernd Komplimente an die Gastgeberin und unterhält die anderen mit seinem exklusiven Partywissen, das er sich vorne am Büfett abgelauscht hat (der Adabei weiß genau, wann das Büfett eröffnet, wo man sich am besten dafür in Stellung bringt und was man eher nicht anrührt).

Ach, so kann es ewig weitergehen, im Münchner Festspielsommer. Man muss halt wissen, wo man hinwill.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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