Die Nationalsozialisten haben ihm 36 Familienmitglieder geraubt, und doch weiß er zu schätzen, was ihm das Leben gegeben hat. Eine glückliche Kindheit zum Beispiel, trotz der Nazis, trotz der anderen Kinder, die ihn gehänselt und geschlagen haben. Er ist in München aufgewachsen, als es noch Wiesen gab in Giesing, die Familie besaß ein Haus in der Deisenhofener Straße, der Vater hat mit Pferden gehandelt, und der Bub durfte reiten lernen. Die Höllenreiners sind eine große Gemeinschaft, Hugo selbst hat zwei Kinder. Die Familie war immer ein Schutzraum in einem Land, in dem auch heute noch viele Roma und Sinti am Rande leben, in dem es Jahrzehnte gedauert hat, bis das Unrecht an ihnen anerkannt wurde.
In der Familie war Hugo "der König". Nach dem Krieg, er war zwölf, dreizehn, als sie fast nichts zu essen hatten, da hat er angefangen, Bürsten zu kaufen und weiterzuverkaufen, ist hausieren gegangen, und die Leute haben gekauft, er wurde zum Bürsten-Hugo. "Ich war der König, weil ich das Geld gebracht habe."
Händler ist er geblieben, Zeit seines Lebens, von Giesing ist die Familie dann nach Waldtrudering gezogen, in eine feine Gegend. Nein, sie entsprachen nicht dem Stereotyp des Zigeuners, und doch hat er überlegt, ob er vor den Blicken und Worten der Nachbarn fliehen soll. Amerika? Aber dann haben sie weiter überlegt, haben sich das Leben dort vorgestellt, ohne Familie. "Was ist dann? Dann bist du allein." Sie sind geblieben und irgendwann nach Ingolstadt gezogen, dort lebt Hugo Höllenreiner noch heute, die Seinen um sich herum.
Das Münchner NS-Dokumentationszentrum, das gerade entsteht, widmet sich auch der Geschichte der Sinti und Roma, und auch dem Leben des Hugo Höllenreiner. Die Macher der Ausstellung werden vielleicht nach Erklärungen suchen, warum alles so kam, warum die Polizei die Höllenreiners am 8. März 1943 verhaftete, ohne Erklärung. Hugo, der Achtjährige, war verängstigt und fragte seinen Papa. Warum, Dada, warum nehmen sie uns mit? Die Antwort des Vaters hat Hugo Höllenreiner nicht vergessen, vielleicht weil sie so viel erklärt, auch heute noch: "Weil wir Sinti sind."