Poth, 53, Geschichts- und Ethik-Lehrer aus Regensburg, ist ein enger Freund Höllenreiners und längst eine Art Assistent, ehrenamtlich, versteht sich. Er bereitet gerade eine Festschrift vor, die nach dem achtzigsten Geburtstag erscheinen soll und darstellen will, welche Wirkung das Erzählen Höllenreiner entfaltet hat, gerade im Bildungsbereich. Immer wieder ist Höllenreiner mit Studenten nach Auschwitz gefahren, ist mit ihnen durch die Überreste des Zigeunerlagers gegangen. Und dann bemüht sich Poth auch, dass ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm über Höllenreiner in die Schulen kommt: "Dui Roma" heißt er, "Zwei Lebenskünstler". Er handelt von dem jungen Wiener Adrian Gaspar.
Der Roma ist Pianist und Komponist, er hat als Jugendlicher Hugo Höllenreiner bei einer Gedenkfeier in Auschwitz kennengelernt und war gefesselt. Seine Mutter hat einen halbstündigen Film gedreht über die beiden Männer und über das Orchesterwerk ihres Sohnes, ein Oratorium, basierend auf den Erinnerungen des Hugo Höllenreiner. Der Film ist auf YouTube zu sehen, aber Poth will ihn weiter verbreiten: "Es ist ein einzigartiges Dokument, wie in der Volksgruppe der Roma die Leidensgeschichte kreativ aufgearbeitet wird und die heutige Jugend inspiriert."
Der Lehrer begleitet Höllenreiner auch in die Schulen. Jetzt, da das Alter manch Lücke in der Erinnerung des Zeitzeugen schafft, da steht er seinem Freund zur Seite, ergänzt, erklärt. Ein Buch hilft ihm dabei, "Denk nicht, wir bleiben hier!", heißt es. Es ist ein bewegendes, ein großes Buch, die Autorin Anja Tuckermann hat dafür den Deutschen Jugendliteraturpreis bekommen, es ist die Lebensgeschichte des Jungen, dem seine Eltern den Zweitnamen Adolf gaben. Sie hatten die Gefahr geahnt und gehofft, der Name gebe Hugo Schutz. Heute ist es die Jugend, die ihm Kraft gibt und damit eine Art von Schutz vor der Vergangenheit ist, weil sich die Schüler für den alten Mann interessieren.
Hunderte Schülerbriefe liegen bei Höllenreiner zu Hause, viele sind so ergriffen von seinen Berichten, dass sie weinen, wenn er spricht. Und auch er schämt sich nicht seiner Tränen, weil wieder diese Bilder erscheinen. Von seinem Freund zum Beispiel, er war neun, wie Hugo, sie waren Blutsbrüder. Sie hatten sich aus Lumpen einen Fußball gebastelt, haben damit im Lager Auschwitz-Birkenau gespielt. Einmal ist der Ball nahe an den Zaun geflogen, der Freund ist hinterher. Dann hat Hugo Schüsse gehört: baff, baff, baff. Hugo ist erschrocken. Der Freund! Aber der hat den Ball genommen und ist zurückgelaufen, auf Hugo zu. Da hat er Blut gesehen, überall Blut, der Bauch war offen, die SS-Männer oben im Wachturm hatten ihn doch getroffen, hatten ihm in den Rücken geschossen. Der Freund schaute Hugo an, wollte noch etwas sagen.
Einmal, am Tisch sitzend beim Kaffee, unterbricht Schweigen das Erzählen. Sein Blick verliert sich irgendwo im Zimmer. Er hat den rechten Ellbogen auf den Tisch gestützt, hat die Hand geöffnet und seinen Kopf hineingelegt. Es ist, als suche das Kind Hugo Halt in der schützenden Hand des alten Mannes. "Ich kann oft nächtelang nicht schlafen, habe jetzt noch Albträume", sagt er. Dennoch, der Mann mit den weißen Haaren und dem dunklen Schnauzbart wirkt lebensfroh und warmherzig. Da sitzt kein verbitterter, da sitzt ein starker Mann.