NS-Vergangenheit:Nacht über Nymphenburg

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Pompös inszenierte Feiern zur Machtdemonstration, der Aufstieg des schlägernden Pferdehändlers Christian Weber - Doris Fuchsberger und Albrecht Vorherr haben in einem Buch die Geschichte von Schloss Nymphenburg in der NS-Zeit aufgearbeitet.

Von Anne Goebel

Prunk, Glanz, Herrlichkeit: Den Reportern des Völkischen Beobachters und der Lokalzeitung im Münchner Westen verlangten die Sommer der Jahre 1936 bis 1939 journalistische Schwerstarbeit ab. Viermal fand im Nymphenburger Schloss die "Nacht der Amazonen" statt, eine schwülstige Feier zur Machtdemonstration örtlicher Nazi-Granden, und die Zeitungen stiegen jeweils ganz groß ein:

Vom "glanzvollen Fest, wie es München wohl noch nie gesehen hat", tönt es vor der Premiere im Juli 1936, und jedes Jahr sind die Vor-, Nach- und Zwischenberichte gespickt mit noch mehr Superlativen. Es geht um Riesenfackeln, Gladiatorenspiele und natürlich den "brausenden Ausbruch der Begeisterung" auf den Tribünen. Nach Lektüre der Artikel fühlt man sich als heutiger Leser regelrecht erschöpft. Wären die Inszenierungen samt der untertänigen Texte nicht Teil eines verbrecherischen Regimes gewesen - man könnte den Kopf schütteln über so viel bizarren Bombast.

Darstellung der finsteren Kapitel vervollständigt das Bild

Die Amazonen-Nächte des Christian Weber, aufgestiegen vom Pferdeknecht zu einem der mächtigsten Münchner NSDAP-Funktionäre, sind Herzstück eines neuen Buchs zur Stadtgeschichte. "Schloss Nymphenburg unterm Hakenkreuz" heißt der Band von Doris Fuchsberger und Albrecht Vorherr, der im Allitera-Verlag erschienen ist. Die Aufarbeitung der Historie der langjährigen Wittelsbacher-Sommerresidenz während der NS-Zeit kommt spät - aber zu einem passenden Zeitpunkt.

Die prachtvolle Anlage feiert dieses Jahr 350.Geburtstag, im Herbst wird es verschiedene Festivitäten geben, die Darstellung der finsteren Kapitel vervollständigt das Bild. Die offene Auseinandersetzung mit den Jahren 1933 bis 1945 ist nicht immer eine Selbstverständlichkeit, aber Herzog Franz von Bayern hat die Autoren offenbar unterstützt und ermuntert. Das ist seinem Grußwort zu entnehmen, in dem das Oberhaupt der Wittelsbacher betont, "wie sehr auch das Schloss Nymphenburg und seine ganze Umgebung von der NS-Herrschaft betroffen waren".

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Schlosspark, Hirschgarten, Botanischer Garten: Kaum ein Stadtteil in München bietet so viel Platz zum Erholen wie Nymphenburg. Rund um das Schloss und seine Parks wohnt es sich durchaus herrschaftlich. Ein Rundgang in Bildern.

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In welcher Form die Veränderungen nach Hitlers Machtübernahme sichtbar und spürbar wurden, ist das Thema des Buchs. In 17 Kapiteln zeigt das Verfasser-Duo die Folgen der Diktatur an einem spezifischen Ort auf: Es geht um Enteignung und Widerstand, um Zwangsarbeit und selbstherrliche Inszenierung von Macht. Für eine rasche Lektüre ist der eindrucksvoll bebilderte Band ungeeignet, man muss sich in jedem Abschnitt neu vertiefen in die Fülle des Materials. Vielleicht wäre manchmal weniger mehr gewesen - andererseits versteht sich das Buch der "Historiker aus Leidenschaft" (Doris Fuchsberger) nicht als streng wissenschaftliche Studie. Man kann aber davon ausgehen, dass Forschungsprojekte zur Nymphenburger NS-Zeit folgen werden, aufbauend auf ihrer Pionierarbeit.

Metall von Türgriffen für den "Endsieg", der Park als Kulisse nächtlicher Parteispektakel, "kriegswichtige" Seide von Maulbeerbaum-Pflanzungen: Auf knapp 250 Seiten wird deutlich, wie das Regime der Nationalsozialisten die herrschaftliche Anlage für ihre Zwecke missbraucht und geradezu ausgeweidet hat. Dass das die Autoren persönlich bewegt, macht sich zwischen den Zeilen bemerkbar - Albrecht Vorherr war jahrzehntelang Kastellan des Schlosses, Fuchsberger wuchs in der Nähe auf. Ihre gelungenen Portraits von Menschen, deren Lebensläufe sich im "Dritten Reich" rund um das Schloss kreuzten, sind knapp gehalten und geben doch einen Eindruck vom Nebeneinander höchst unterschiedlicher Schicksale.

Reinhard Heydrich etwa, später als Organisator des Holocausts eine Schlüsselfigur des NS-Terrors, mietete sich 1932 mit seiner Familie eine Zeit lang nahe der Schlossmauer ein. Das Haus, notierte seine Frau Lina, "gibt uns die Möglichkeit, alles Belastende rechtzeitig verschwinden zu lassen". Im früheren Küchenbau lebte der damalige Gartendirektor Heinrich Weiß, der im Harnier-Kreis aktiv war, einer monarchistischen Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus. Und während Kronprinz Rupprecht von Bayern, Chef der Wittelsbacher, allen Vereinnahmungsversuchen der Nazis trotzte, hielt 1936 in Hermann Fegelein ein früherer NSDAP-Blockwart Einzug im Schlosshof: Der Kommandeur der Reiter-SS trainierte die Show-Reiterinnen für die pompösen sommerlichen Festnächte.

Die "Nacht der Amazonen" ging zurück auf eine Idee des Pferdehändlers Christian Weber, eines als gewalttätig bekannten SA-Mannes der ersten Stunde und Duzfreundes Adolf Hitlers. Als brauner Fraktionsführer im Münchner Rathaus baute der gebürtige Franke seine Macht sukzessive aus und nutzte sie für private Vorlieben und Geschäfte. Die "Rennwoche Riem" um das "Braune Band von Deutschland" war eines seiner Lieblingsprojekte, und die Amazonen-Revue sollte dem Sportereignis ein weltläufiges Image à la Ascot verleihen. Weber engagierte einen künstlerischen Leiter, ließ aus Berlin die "Hiller Girls" anreisen, professionelle Varieté-Tänzerinnen, im Schlosspark wurden Starkstromleitungen für Filmscheinwerfer, Wasserrohre für Fontänen verlegt. Das vier Mal stattfindende Spektakel, eine wüste Mischung aus barbusigen Reiterinnen, SS-Formationen, einem pseudomythologischen "Kampf der Hirtinnen und Hirten" und abschließendem Großfeuerwerk, richtete im Nymphenburger Park jedes Mal einen Schaden in Höhe von mehreren tausend Reichsmark an.

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Nymphenburg war einst ein königliches Dorf. Bis heute dominiert das Schloss mit seiner weitläufigen Parkanlage das durchaus repräsentative Viertel mit den vielen Prachtbauten im Münchner Westen.

Anna Fischhaber

Särge mit sterblichen Überresten mussten Bierkeller weichen

Auf Webers Konto geht auch die Enteignung und teilweise Zerstörung von Klosterräumen und der dazugehörigen Schule der "Englischen Fräulein" im Nordflügel des Schlosses. Für sein Renommierprojekt "Deutsches Jagdmuseum" - die Nachfolge-Einrichtung ist heute in der Fußgängerzone untergebracht - machte er auch vor einer Räumung der Gruft unter der ehemaligen Konventkirche nicht Halt. Die Särge mit den sterblichen Überresten von Ordensmitgliedern mussten einem Bierkeller weichen. Zum "Großdeutschen Volksfest", wie das Oktoberfest damals hieß, wurde das Museum im Herbst 1938 eingeweiht. Ein knappes Jahr zuvor hatte der Priester bei der letzten Messe für die Kloster-Schulkinder gesagt: "Für Nymphenburg ist die Nacht angebrochen."

Für den Buchautor Albrecht Vorherr ist Christian Weber der Inbegriff eines NS-Bonzen, der sich aus kleinsten Verhältnissen "den Weg nach oben geschlägert" hat. Weber starb im Mai 1945 in amerikanischer Gefangenschaft bei einem Lkw-Unfall auf dem Weg in das Lager Heilbronn.

Doris Fuchsberger, Albrecht Vorherr, Schloss Nymphenburg unterm Hakenkreuz. Allitera Verlag. 260 Seiten, 16,90 Euro

© SZ vom 17.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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