Notfall-Konzept in München:Im Zweifel lebensrettend

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In Notfällen können wenige Minuten über Leben und Tod entscheiden. Da erscheint es widersinnig, vorhandene Kapazitäten im Rettungsdienst nicht zu nutzen. Doch genau das soll nun in München geschehen.

Stephan Handel

Beim BRK-Rettungsdienst herrscht ein schwieriges Betriebsklima. (Foto: Catherina Hess)

Zehn Minuten? Acht Minuten? Oder fünf Minuten? Wenige Sekunden können bei Notfallpatienten über Leben und Tod entscheiden. Da erscheint es widersinnig, vorhandene Kapazitäten im Rettungsdienst nicht zu nutzen. Doch genau das soll in nicht allzu langer Zeit geschehen: Die AOK Bayern hat, federführend für die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände, das ist der Zusammenschluss der gesetzlichen Krankenversicherungen, eine Vereinbarung gekündigt, welche die vier in München arbeitenden Werksfeuerwehren und ihre Rettungsdienste in das Notfall-Konzept für die Landeshauptstadt einbezieht.

Vier Unternehmen unterhalten in München eigene Werksfeuerwehren: Das BMW-Werk im Norden des mittleren Rings, Kraus-Maffei in Allach-Untermenzing, MAN-MTU in Ludwigsfeld sowie die TU in Garching. Sie alle erhielten im Sommer ein dürres Schreiben: "Hiermit kündigen wir die Vereinbarung vom 01.07.1997 über die Durchführung von Krankentransport und Notfallrettung (. . .) fristgemäß zum 31.12.2012." Bis dahin waren die Werks-Rettungsdienste zwar in erster Linie für Notfälle auf ihrem Betriebsgelände zuständig. Wenn jedoch in der Leitstelle des Münchner Rettungszweckverbandes, der die Einsätze des "regulären" Rettungsdienstes koordiniert, also von Rotkreuz, Malteser, Johanniter und anderen, wenn sich in dieser Leitstelle ein Engpass auftat und kein Auto des Zweckverbandes zur Verfügung stand, dann wurden die Werks-Retter verständigt. Sie wurden von den Kostenträgern pro Einsatz bezahlt - im Gegensatz zu den Mitgliedern des Zweckverbandes, deren Arbeit pauschal honoriert wird.

Und genau darin scheint die Ursache der jetzigen Kündigung zu liegen. "Die Kassen wollen nicht für etwas bezahlen, wofür sie an anderer Stelle schon bezahlt haben", sagt ein Insider und gibt ein Beispiel: Zehn Minuten beträgt im Stadtgebiet München die so genannte "Hilfsfrist" - zehn Minuten vom Eingang des Notrufs bis zum Eintreffen des Rettungswagen beim Patienten. Wenn nun das nächstgelegene Fahrzeug - das vielleicht fünf Minuten fahren müsste, wäre es denn verfügbar - anderweitig im Einsatz ist, das zweitnächste zehn Minuten Fahrzeit bräuchte, aber eine Werks-Rettung in fünf Minuten da sein könnte -"dann nimmt die Leitstelle gerne die Firmenrettung". Im Jahr kommt das rund 2000-mal vor, ebenso oft wie die Zahl der internen Einsätze der Werks-Retter.

Für den Patienten ist das im Zweifelsfall ein Unterschied zwischen Leben und Tod, für die Kostenträger offenbar eine unnötige Ausgabe. Argumente für ihre Haltung liefert ihnen ein Gutachten, dass das Institut der Notfallmedizin der LMU im Auftrag des bayerischen Innenministeriums erstellt hat. Es trägt den Titel TRUST, was für "Trend- und Strukturanalysen" steht und macht Vorgaben für die Organisation und Ausbau des Rettungsdienstes in ganz Bayern. Zwar ist das Gutachten offiziell noch nicht veröffentlicht - doch gibt es wohl vor, die Vorhaltung im Rettungszweckverband um 20 Prozent zu erhöhen. Und deshalb sei, so die Auskunft der Kassen-Arbeitsgemeinschaft, "zukünftig ein Einsatzbedarf der in Frage stehenden Werksfeuerwehren nicht mehr erkennbar".

Die Leidtragenden, also die Verantwortlichen der Werks-Rettungsdienste sehen das naturgemäß anders. Matthäus Kraner, Betriebsleiter in der Werksärztlichen Abteilung bei Krauss-Maffei, verweist darauf, dass sie nach der Kündigung auch ihre internen Einsätze nicht mehr über die Krankenkassen abrechnen können (sofern es sich nicht um Arbeitsunfälle handelt, deren Kosten von den Berufsgenossenschaften getragen werden). Kraner sieht deswegen seine ganze Abteilung in Gefahr - mit der Folge, dass der Rettungszweckverband auch diese Einsätze übernehmen müsste, wenn sich Krauss-Maffei die Werksfeuerwehr nicht mehr leisten will. Und Thomas Schmidt von der Feuerwehr der TU in Garching sagt, die Kostenträger nähmen "bewusst eine Versorgungslücke zum Schaden der Patienten in Kauf".

Vorerst haben die Krankenkassen ihren ungeliebten Werksfeuerwehren eine Gnadenfrist gewährt: die Kündigung zum 31. Dezember bleibt zwar bestehen, bis zum 30. Juni 2013 läuft aber erst einmal alles weiter wie bisher. Über eine neue Kostenvereinbarung wird währenddessen verhandelt. Thomas Schmidt aus Garching meint: "Irgendetwas Neues muss es ja geben."

© SZ vom 12.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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