Neues Album:Party im Überbau

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Die "Jazzrausch Bigband" hat äußerst erfolgreich einen eigenen Stil mit philosophischer Note zwischen Techno und Swing entwickelt. In einem visuell aufwendigen Stream stellt sie ihr neues Werk "téchne" vor

Von Oliver Hochkeppel

Es hätte wieder ein großartiges Jahr für die Jazzrausch Bigband werden können. Zum beherrschenden Thema, dem 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven, hatte man 2020 das passende Programm am Start: "Beethoven's Breakdown", eine Hommage an die Musik des Meisters im Techno-Jazz-Stil, der die Band erfolgreich und bekannt gemacht hat. Damit war die Truppe bei nahezu jedem wichtigen Festival weit über den Jazzbereich hinaus eingebucht. Die Pandemie aber ließ alle Träume platzen und traf die Jazzrausch Bigband mit am härtesten. Denn ganz abgesehen vom empfindlichen Karriereknick: Ein freies 30-köpfiges Musikerkollektiv ohne Rechts- oder Betriebsform fällt komplett durchs Coronahilfe-Raster.

Wer aber denkt, die würden das geräuschlos erdulden, der kennt ihren Gründer und Leiter Roman Sladek nicht. Zum einen ist der 32-Jährige seit jeher ein Arbeitstier: Die Bigband baute er parallel zu einem Triple-Studium - klassische und Jazzposaune sowie Kultur- und Musikmanagement - auf und war als Sideman ebenso unterwegs wie als Programmleiter eines Jazzclubs in Peking. Zum anderen ist Sladek ein ideenreicher, jede Chance ergreifender Vorkämpfer für einen offenen, aus der Nische strebenden Jazz: "Der Jazz-Habitus hat viel zerstört. Diese elitäre Verweigerungshaltung, das mangelnde Bewusstsein fürs Publikum. Wir Jazzer müssen in die Jetztzeit zurückfinden. Jede Musik beherrschen lernen und selbstbewusst klarmachen, dass unsere Musik kreativ das größte Potenzial hat", ist seine früh formulierte programmatische Haltung.

Es ist erstaunlich, was er mit der Jazzrausch Bigband als Instrument binnen gerade mal sieben Jahren seit ihrer Gründung - als Hausband des als Vorgänger des heutigen Hofspielhauses nur kurz existierenden "Rausch & Töchter" - erreicht hat. Neben klassischen Swing-Programmen kamen schnell experimentellere Orchesterprojekte dazu, und dafür suchte Sladek auch andere Besucher und Spielorte als die üblichen Jazz-Verdächtigen. So wurde seine Truppe zur weltweit einzigen "Resident Bigband" in einem Techno-Club, dem Harry Klein. Im Umkehrschluss entwickelte sich aus der Verbindung von Technoidem und Elektronischem mit akustischem Big-Band-Sound ein Schule machender neuer Stil, der, man darf sagen weltweit Aufsehen erregte.

Mathematik, Philosophie und Ekstase: Die "Jazzrausch Bigband" bringt's zusammen. (Foto: Marc Willhelm)

Sladek investierte viel, zum Beispiel in ein USA-Gastspiel in Wynton Marsalis' New Yorker Lincoln Center 2017 (als erste deutsche Big Band überhaupt), was trotz Förderung durch die "Initiative Musik" des Bundes sicher ein teures Zuschussgeschäft war, aber fürs Renommee, für die Außenwirkung wie für die Banddynamik unbezahlbar. So landete man nicht nur bei Act, einem der führenden Independent-Label, sondern kam 2019 auch auf 120 Konzerte, in Clubs wie großen klassischen Konzerthäusern, auf Festivals wie bei Tourneen durch Afrika und China. Vermutlich war man damit die bestbeschäftigte Big-Band der Welt. Und hätte dafür auch 2020 die Früchte ernten können.

Für die weggebrochene Beethoven-Tournee ersann Sladek freilich gleich Neues. Im Juli ging man ins brachliegende Harry Klein, um dort, wo man sich zu Hause fühlte, ein neues Projekt samt Album einzuspielen: "téchne" entstand dort in den folgenden drei Monaten. "Diese Umgebung hat uns den richtigen Vibe für das Album gegeben, anstatt in einem sterilen Tonstudio aufzunehmen," sagt Sladek. Der Titel lehnt sich nicht nur wortspielerisch an Techno an, er ist, wie zuvor zum Beispiel "Dancing Wittgenstein", auch Ausdruck des philosophischen Überbaus, den der Chef-Komponist und musikalischer Mastermind der Band Leonhard Kühn stets beisteuert. Hier wird der altgriechische Begriff bemüht, bei dem Technik noch mit Wissenschaft, Kunst und Philosophie ineinanderfällt. Und so dreht es sich in "What It Is" mit Sartre-Zitaten um Wirtschafts- und Coronakrise, in "Der Literat" um ein dadaistisches Hugo-Ball-Gedicht oder in "AI 101" um künstliche Intelligenz.

Erstmals baute man neben Kuhns Stücken aber auch passende von befreundeten Komponisten ein, zwei von der Filmkomponistin Theresa Zaremba und zwei Gemeinschaftswerke des Trompeters Andreas Unterreiner und der Bassistin Antonia Dering. Und ebenfalls zum ersten Mal holte man ein ganze Schar illustrer Gäste dazu, vom bereits bei "Beethoven's Breakdown" beteiligten Posaunisten Nils Landgren und dem Schlagzeuger Wolfgang Haffner über den Pianisten David Helbock samt seinem Trio Random/Control bis zum Gitarristen Kalle Kalima und dem jungen Saxofon-Senkrechtstarter Jakob Manz. Neben den zwei eigenen Sängerinnen Patrizia Römer und Alma Naidu durften auch Kammerspiel- und Kuu-Bandleaderin Jelena Kuljić, Nesrine und Viktoria Tolstoy ans Mikrofon.

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So ist "téchne" weniger Konzeptalbum als die bisherigen, sondern viel song-hafter und musikalisch disparater, von Siebzigerjahre-Discosounds ("Mosaïque Bleu") bis zu Indie-Pop ("Hurricane Ride"). Ein schillernder musikalischer Strauß voller Wucht, Finesse und Intelligenz, der am Freitag erstmals als Konzertstream begutachtet werden kann. Der wurde zwar ohne Gäste, aber dafür mit großen visuellem Aufwand samt Choreografien, Visuals und Moderationen direkt in der Thierry-Mugler-Ausstellung in der Kunsthalle aufgezeichnet. Eine Verbindung von Mode, Musik, Kunst und Technik, die den Titel "téchne" noch ein Stück weiterdreht.

Jazzrausch Bigband: "téchne" , Act; Release-Konzertstream am Freitag, 26. März, 21 Uhr, Kunsthalle München, www.jazzrauschbigband.de

© SZ vom 25.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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