Neue Kriminaltechnik:Die stille Revolution

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Der Erkennungsdienst des LKA untersucht Fingerabdrücke von Toten, Tätern und Opfern - auch im Fall Schindlbeck führte die Spur zum Mörder.

Susi Wimmer

"Die Hände! Sind die Hände dran?" Das war die erste Frage von Eva Schichl, als sie erfuhr, dass man zwei abgetrennte Arme zur Untersuchung ins LKA-Labor gebracht hatte. Für einen Außenstehenden ein makaberer Ansatz, für die Kriminaloberrätin Berufsalltag: Denn die 49-jährige Dezernatsleiterin ist zuständig für alle in Bayern registrierten Fingerabdrücke.

Der eingescannte Abdruck wird mit einer registrierten Spur verglichen. (Foto: Foto: Polizei)

Ob es um die Identifizierung von Toten geht, um die Sicherung von Fingerspuren oder den Abgleich mit der bundesweiten Datenbank: Das Landeskriminalamt an der Maillingerstraße beherbergt die Zentralstelle für Daktyloskopie in Bayern. Keine 45 Minuten hat es nach Beginn der Untersuchung gedauert, bis die Experten herausgefunden hatten, dass die abgetrennten Arme aus der Isar zu dem Münchner Mordopfer Markus Schindlbeck gehörten. Der mutmaßliche Täter wurde fünf Tage später festgenommen.

Teamarbeit, Teamarbeit und nochmal Teamarbeit - für Eva Schichl das A und O bei der Verbrechensbekämpfung. "Nehmen wir den Fall Schindlbeck", sagt sie. Wäre nicht so schnell aufgegangen, hätte nicht eine Beamtin Markus Schindlbeck nach einem Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz erkennungsdienstlich behandelt und seine Finger- und Handteller registriert. Dann die Rechtsmedizin, die die Schnitte an den Armen untersucht, die DNS nimmt und Rückschlüsse auf Geschlecht, Größe und Gewicht des Opfers zieht.

Und schließlich das LKA, das die Linien an den Handflächen des Opfers akribisch untersucht, in den Computer einspeist und mit der bundesweiten Datenbank abgleicht. "Zu diesem Zeitpunkt hatten wir drei nicht identifizierte Torsos auf der Liste", erzählt Schichl. Einer in Belgien, einer an der Brenner-Autobahn - und einer in Tschechien. Die Gewebeproben brachten schließlich Gewissheit, dass der Rumpf aus Tschechien und die Arme, die bei Geretsried in der Isar gefunden worden waren, zu Markus Schindlbeck gehörten: "Somit hatten wir einen Namen und eine Geschichte, in die Sache kam Bewegung." Nun war die Münchner Mordkommission an der Reihe.

Zurück ins Labor, dem Ort einer veritablen Revolution - jener in der Kriminaltechnik, die in den vergangenen 20 Jahren gewaltige Fortschritte gemacht hat. Vieles von dem, was heute selbstverständlich ist, galt noch Ende der achtziger Jahre als reine Science-Fiction-Phantasie. Zum Beispiel die elektronische Speicherung der Fingerabdrücke. Unzählige Striche auf dem Bildschirm. Ein Fingerabdruck im Großformat. Irmgard Schenke klickt sich in Windeseile durch das Gewirr aus Kapillarlinien. "Hier haben wir eine Schleife links, eine endende Linie, eine Verästelung."

"Wir suchen die Abweichungen im Verlauf der Fingerlinien", erklärt Peter Immerz, Sachverständiger am LKA. 80 bis 120 Individualisierungspunkte kennt das System. Diese Eigenheiten werden markiert, das Computerprogramm AFIS, eingerichtet 1993, gleicht dann auf Knopfdruck den Abdruck mit den 3,2Millionen bundesweit gespeicherten Fingerspuren ab - und spuckt eine Trefferliste von 15 ähnlichen Abdrücken aus. Irmgard Schenke greift sich den Namen mit der höchsten Punktzahl, stellt den eingescannten Abdruck daneben, und vergleicht noch einmal Linie für Linie. "Ich brauche mindestens zwölf Übereinstimmungen bei den Besonderheiten", sagt sie. Früher hätte ein Abgleich der Karteikarten Wochen gedauert.

Den Abdruck, den Schenke heute bearbeitet, haben ihre Kolleginnen aus dem LKA-Labor an einer Plastikverpackung gesichert. In der Tüte befanden sich Drogen, sichergestellt im Januar 2009 in einem Reisebus. Landet Schenke einen Treffer, wird der von einer Sachbearbeiterin inspiziert. Dann wird aus dem Blattarchiv das Papier mit dem Abdruck nochmal herausgeholt und mit der Lupe betrachtet. Zuletzt muss noch der Sachverständige Peter Immerz die Übereinstimmungen bestätigen. Erst dann ist der Treffer vor Gericht beweisfähig.

"Die Daktyloskopie ist schnell, billig und sicher", meint Eva Schichl. Eineiige Zwillinge hätten die gleiche DNS, "aber einen gleichen Fingerabdruck - das gibt es nicht". Erheblich erleichtert wurde den Ermittlern die Arbeit durch die Einführung des "Life-Scans": Verdächtigen werden nicht mehr die Finger geschwärzt und auf ein Blatt Papier gedrückt, heute werden Finger und Handteller gescannt. 606061 Fingerspuren und 215000 Handflächen aus Bayern sind im AFIS gespeichert. "Und Bayern ist das einzige Bundesland, in dem die Zahl der erkennungsdienstlichen Behandlungen stetig steigt", sagt Schichl. Als nach dem Tsunami 2004 auch 150 Menschen aus Bayern ums Leben kamen, konnten die Beamten etwa drei Viertel der Leichen anhand von Zahnschemata und Fingerabdrücken indentifizieren. "Für die Hinterbliebenen war es wichtig, Gewissheit zu haben", sagt Schichl. "Denn Trauer braucht einen Ort."

© SZ vom 11.02.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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