Natur:Hauhechel und Zackenschötchen

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Der Aubinger Landwirt Johann Oberhauser besitzt die schönste Wiese zwischen Miesbach und München. Die Jury zeichnete sie aus, weil dort 62 Blumen und Gräser wachsen - und nur einmal im Jahr gemäht wird

Von Jana Heigl

Haarscharf manövriert Johann Oberhauser seinen Traktor an den parkenden Autos vorbei. Wenn das Mähwerk ausgefahren ist, braucht er fast die gesamte Fahrbahn. Trotzdem gibt er ordentlich Gas - er macht das schließlich nicht zum ersten Mal; den Bauernhof in Aubing hat er von seinem Vater übernommen. Die rasante Fahrt geht zur Langwieder Heide, einer großen Wiesenfläche, die er seit 30 Jahren bewirtschaftet. Dort wächst die kriechende Hauhechel neben der haarigen Gänsekresse und dem orientalischen Zackenschötchen. Auf einer Fläche von mehr als elf Fußballfeldern haben Naturschützer genau 62 Arten entdeckt. Das ist laut Marion Ruppaner, Agrarreferentin beim Bund Naturschutz (BN) in Bayern, etwas Besonderes. Auf einer gewöhnlichen Wiese finde man in der Regel bloß 16 Arten, sagt sie.

Bei der Wiesenmeisterschaft des Bundes Naturschutz entschied eine Jury im Juni, dass Oberhausers Wiese die Beste zwischen Miesbach und München sei. "Es erfordert schon ein gewisses Selbstvertrauen, das zu behaupten", sagt Oberhauser grinsend, sichtlich stolz auf den ersten Platz. Die Bewertung der Jury beruht auf strengen Kriterien, die der Bund Naturschutz gemeinsam mit der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft speziell für die Wiesenmeisterschaft erarbeitet hat. "Es ist nicht der übliche Blümchenzählwettbewerb", sagt Marion Ruppaner.

Neben der Artenvielfalt und der Verwertung des gemähten Heus im Betrieb bewertet die Jury auch, wie viele seltene und schädliche Arten auf der Grünfläche wachsen. In den drei Kategorien Naturschutz, Landwirtschaft und Kulturlandschaftswert können die Bauern punkten. Dieses Jahr kam Oberhauser als einziger Bauer aus München unter die Top Fünf - die anderen vier Bauern sind aus Miesbach.

"Eigentlich", sagt Oberhauser, "müsste ich der Langwieder Heide zu ihrem beispiellosen Aufstieg gratulieren". Er hatte sie 1987 einem Schäfer abgekauft, der die Wiese 40 Jahre lang mit seinen Schafen bewirtschaftete. Damals wollte sie niemand haben, weil der Boden buckelig war. Während des Zweiten Weltkriegs wollte man dort eine Bahnanlage bauen und schob deshalb bereits den Humus ab, also jene Erdschicht, die am fruchtbarsten ist.

Diese Anlage, so erzählt es Oberhauser, entstand aber nie. Zu den Humusbergen kamen schließlich Einschlagslöcher von Bomben hinzu. Seitdem hat niemand mehr die Wiese verändert - selbst Oberhauser düngt sie nicht, sondern lässt nur einmal im Jahr einen Wanderschäfer für ein paar Tage mit seiner Herde über die Heide laufen. Für diese Form der extensiven Landwirtschaft bekommt er vom Freistaat Bayern, dem Bund und der Europäischen Union jedes Jahr rund 5000 Euro für sein Stück der Langwieder Heide. Seine Wiese ist auch bei Joggern und Spaziergängern wegen ihrer Ruhe beliebt - obwohl sie von Autobahn, S-Bahn-Gleisen und Industriegebiet eingerahmt ist.

Kurz nachdem er die Wiese 1987 gekauft hatte, gerieten er und seine Frau Kirsten in einen Autounfall. Plötzlich, mit 28 Jahren, war Johann Oberhauser querschnittsgelähmt. Aber er schaffte es innerhalb eines halben Jahres, wieder auf die Beine zu kommen, heute erinnert nur noch ein Hinken an diesen Unfall.

Johann Oberhauser steckt viel Leidenschaft und Herzblut in seinen Hof. Er baut Getreide an, hält gleichzeitig aber noch 25 Bullen, die er für die Schlachtung mästet. "Ganz ohne Vieh ist es langweilig auf dem Hof", sagt er. Die Langwieder Heide nutzt der Aubinger, um Heu zu gewinnen. Einmal im Jahr mäht er die Wiese und verkauft das fertige Heu an Pferdehöfe und Reitschulen, denen er Teile seines 80 Hektar großen Grunds verpachtet hat. Die Wiese bringt ihm lediglich 20 Tonnen Heu im Jahr. Das ist nur ein Fünftel von dem, was er auf anderen Wiesen dieser Größe einfährt. Das letzte Mal gemäht hat er auf der Langwieder Heide übrigens am 3. Juli, ausgerechnet am Tag der Preisverleihung zur Wiesenmeisterschaft. "Das Wetter war gut", sagt er schulterzuckend.

Sogar der Landesbund für Vogelschutz erachtet Oberhausers Wiese als wertvoll: Mit Ehrenamtlichen mähen sie einen Teil der Fläche selbst und kümmern sich um die Büsche, damit der Lebensraum für die Vögel erhalten bleibt. Rentabel war die Wiese für Oberhauser noch nie wirklich, doch der Erhalt der Heide ist ihm wichtig. "Wenn man etwas mag, dann sieht man es mit ganz anderen Augen", gibt er zu. 1995 meldete er die Wiese sogar als anerkanntes Biotop an - ein Zugeständnis von seiner Seite, denn die Anmeldung war mit vielen Auflagen verbunden. Um weiterhin staatliche Förderung zu bekommen, darf er gegen keine von ihnen verstoßen.

Obwohl der Bauernhof bereits seit drei Generationen im Familienbesitz ist, blickt Oberhauser nicht zurück, sondern nach vorn, in die Zukunft. Alte Bauernregeln braucht er nicht, er vergewissert sich lieber im Internet, ob es regnen wird oder nicht. "Mit Laptop und Lederhosen", nennt er das lachend. Sein Dach ist zugepflastert mit Fotovoltaikanlagen, und fast hätte Oberhauser auch ein Windrad zur Stromgewinnung aufgestellt - das wurde ihm jedoch nicht genehmigt. Seine Tochter studiert mittlerweile Erneuerbare Energien.

Es ist nicht zuletzt diese Vorwärtsgewandtheit, die Oberhauser den ersten Platz bei der Wiesenmeisterschaft eingebracht hat. Es ist in München nicht gerade einfach, sich als Bauer durchzusetzen, weiß auch Marion Ruppaner vom Bund Naturschutz. Sie lobt Oberhausers Betriebskonzept und verrät, dass es den Ausschlag für den Sieg gegeben hat.

So, genug getrödelt, jetzt ruft wieder die Arbeit. Johann Oberhauser hangelt sich auf den Sitz seines Traktors und startet knatternd den Motor. Das Wetter ist schließlich schön.

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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