Nachwuchs für die Manege:Salto vitale

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Der Akrobat David Rashid trat in Las Vegas und im Circus Krone auf, heute bringt er in der Artistenschule Kindern die Zirkuskunst bei

Von Barbara Hordych

Mit seinen Akrobatikgruppen "Kenia Boys" und "Flying Brothers" trat David Rashid früher in Las Vegas und in den Manegen von Circus Krone und Roncalli auf. Er sprang aus dem Stand einen doppelten Salto rückwärts und beherrschte halsbrecherische Akrobatik am frei stehenden Mast. Heute gibt der 48-Jährige sein Wissen an die rund hundert Kinder weiter, die jede Woche zum Training in die Artistenschule München kommen. Gerade hockt er aufmerksam neben dem Trampolin, immer bereit, rechtzeitig einzugreifen, bevor jemand ausrutscht, oder den Kopf beim Sprung nicht weit genug hinunter auf die Brust zieht. "Ich muss jeden beobachten, was er kann, oder nicht", sagt Rashid. Er erlaubt nur Sprünge, die dem jeweiligen Können entsprechen.

Im Moment verfolgt er aufmerksam, wie die neunjährige Julia anläuft, einen doppelten Salto schlägt und nur noch eine klitzekleine Handreichung braucht, um auf der dicken Matte sicher zum Stehen zu kommen. Das nachfolgende Mädchen ist deutlich älter, zieht aber trotzdem beim Sprung nur die Knie hoch, bevor sie auf der Matte landet. Der zwölfjährige Moritz hingegen springt eine tadellose Schraube. "Ich bin auch schon seit sechs Jahren dabei", sagt er kurz darauf. Auch sein großer Bruder war jahrelang "bei David", habe allerdings mit der Akrobatik aufgehört, als er sein Studium begann. "Bei David" war denn auch die Zauberformel, die 2006 zur Gründung der Artistenschule führte. Den Weg geebnet hatte Ulrich Sodemann, der im Jahr 2014 gestorben ist. Sein Sohn Roney war fünf Jahre alt, als er beim Ferienprogramm "Lilalu" mitmachte und einen Kurs "bei David" belegte. Rashid war Anfang der Neunzigerjahre der Liebe und seiner drei Kinder wegen in München sesshaft geworden, hatte als Workshopleiter bei Lilalu angefangen. Roney wollte nun immer in den Ferien zu Lilalu - und dort unbedingt zu Rashid. "Wenn ich sah, dass er beinahe weinte, weil mein Kurs bereits voll war, habe ich geschaut, dass ich ihn noch hineinschmuggele", sagt Rashid heute. Neben ihm in der Turnhalle im Dantestadion steht am Freitagnachmittag ebendieser Roney, mittlerweile 23 Jahre alt, mit grauer Strickmütze und weißem T-Shirt. Und erzählt, dass er seinem Vater damals ständig damit in den Ohren gelegen sei, auch in der Schulzeit weitermachen zu wollen mit der Akrobatik. "Bis mein Vater ein Einsehen hatte." Und mit Rashid zusammen die Artistenschule gründete. Sodemann übernahm die Management-Aufgaben, Rashid als Cheftrainer die künstlerische Leitung. Zusammen mit dem Uni-Sportclub (USC) und der Freien Turnerschaft München Süd bietet die Schule seitdem mehrmals die Woche Trainingsstunden an - die Nachfrage ist groß. Toni Schneider, der frühere Leiter des USC, trainiert die Jüngsten von sechs Jahren an. Sein Augenmerk gilt besonders dem Muskelaufbau und der Schulung der koordinativen Fähigkeiten. Primär gehe es nicht darum, perfekte Artisten zu produzieren, "sondern darum, dass die Kinder Spaß an der Bewegung haben und starke Persönlichkeiten werden", erklärt Rashid.

Während er erzählt, findet er nebenbei die Zeit, der kleinen Julia mit dem blonden Pferdeschwanz zu erklären, wo sein "Buch" ist. Julia holt die Kladde aus Rashids Tasche, zusammen blättern sie es durch, auf der Suche nach den Seiten mit den Pyramiden für die Jüngeren. Denn die wuseln schon um ihn herum, wollen in einer Ecke der Halle mit dem "Aufbau" beginnen. Da sind die Skizzen hilfreich, die Rashid selbst angefertigt hat, als Gedächtnisstütze und Anschauungsmaterial - für sich und für die Kinder. Das Wissen darum stamme noch aus der Zeit, als er selbst im Alter von sieben Jahren in die Nationale Zirkusschule Kenias in Nairobi aufgenommen wurde. "Ich habe das von der Pike auf gelernt", sagt Rashid. Deshalb habe er auch alles genau im Blick: Welches Kind etwa im Vierfüßlerstand seinen Rücken nicht gerade genug hält, um einem anderen Kind als Stütze zu dienen. "Es gibt so viele Stellen auf die man nicht steigen darf, da muss man sehr aufpassen", sagt er, während er beim Ausbalancieren der Pyramide hilft.

"Für Außenstehende mag das hier nach einem unübersichtlichen Trubel aussehen, aber dem ist nicht so", sagt Antje Wegmeth, die nach dem Tod von Sodemann die Organisationsaufgaben der Schule übernommen hat. Denn Rashid und Toni Schneider behalten den Überblick, haben alles genau im Auge. "Es ist auch noch nie etwas Schlimmes passiert", sagt Wegmeth, deren Kinder Lara und Paul selbst begeisterte Nachwuchsartisten sind. Die siebzehnjährige Lara ist bereits seit zehn Jahren dabei, steht kurz vor dem Abitur. Trotzdem trainiert sie am Freitagnachmittag bei der Gruppe der Älteren einen Stock höher. "Es ist schon David der Grund, dass man dranbleibt", sagt die Schülerin, die seit Jahren die Show-Auftritte der Nachwuchsartisten im Kulturhaus Milbertshofen moderiert. Öffentliche Präsentationen gehören ebenfalls zum Konzept - beispielsweise bei den Familientagen in der BMW-Welt oder beim Bayerischen Kinder-und Jugendvarietéfestival "Talents". Übrigens greift auch Willy Bogner gerne auf Rashids choreografisches Geschick zurück: Gemeinsam mit dem Akrobatikprofi, der bei Bogner als Lagerist angestellt ist, entwickelt er Kunststücke für Firmenevents.

2010 erhielt David Rashid für seine Arbeit die Auszeichnung "Münchner Lichtblicke". Weil er nicht nur durch sein akrobatisches Können besteche, urteilte die Jury, "sondern auch durch seine warmherzige und offene Art, mit Kindern umzugehen". Dadurch schaffe er in seinen Workshops eine Atmosphäre, "in der Hautfarbe und Herkunft keine Rolle mehr spielen", hieß es in der Begründung. Die Preise sind deshalb bewusst niedrig gehalten, 120 Euro kostet die Mitgliedschaft im Jahr.

© SZ vom 11.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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