Nachruf:Das Herz der Münchner Musikszene

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Bernd Hartwich verwandelte Easy Listening in "Isar Listening". (Foto: David Baalcke)

Bernd Hartwich, Musiker, Discjockey und Erfinder des "Sound Of Munich", ist im Alter von 53 Jahren gestorben.

Von Dirk Wagner, München

"Bei Tag Und Nacht" heißt das neue Album der Münchner Band Der Englische Garten, doch statt Licht und Lebensfreude herrscht nun Dunkelheit und Trauer. Am Mittwoch, zwei Tage vor der Veröffentlichung der Platte, ist Bernd Hartwich, der Bassist der Band, in Folge einer Krebserkrankung im Alter von 53 Jahren gestorben.

"Bei Tag Und Nacht" ist das letzte Musikdokument des Mannes, der den "Sound Of Munich" geradezu personifizierte. Dieser Titel, angelehnt an das Musical "Sound Of Music", war nicht nur der Name des erfolgreichsten Albums von Hartwichs früherer Band Merricks. Sondern auch Auftrag für den gebürtigen Münchner: Damit keine kommerziellen Radiostationen oder Plattenfirmen schlechte Musik als "Sound of Munich" etikettieren konnten, hatte er sich diesen Namen sogar patentieren lassen.

Zwar pflegte Hartwich auch eine Punk-Affinität, doch seine eigene Musik wurde bald schon von jenen Siebzigerjahre-Disco-Produktionen inspiriert, mit denen etwa der Produzent Giorgio Moroder München zur Hauptstadt der Popmusik machte. Für die Egon Bar stellte Hartwich, der später auch in unterschiedlichen Etablissements wie dem Baader Café, dem Holy Home oder dem New York Club als DJ auflegte, Mixtapes zusammen, die Soundtracks von Ennio Morricone mit Evergreens von Burt Bacharach vereinten. Und auch mit seinen eigenen Bands verwandelte Hartwich Easy Listening mit einer der Münchner Popgeschichte geschuldeten lässigen Verweigerungshaltung in ein "Isar Listening". So wagte er mit dem Jürgen-Rippe-Tanzorchester trashige Coverversionen von Kraftwerks "Radioaktivität" bis Smetanas "Die Moldau", für die das Publikum die Band etwa 1992 auf der Eröffnungsfeier der Hamburger Filmfestspiele nicht von der Bühne lassen wollte. Alle Musiker des Orchesters hatten für diesen Auftritt ihre Instrumente getauscht - nur Hartwich blieb bei seinem Bass. Wobei er streng genommen den Bass nie nur spielte. Vielmehr war er selbst der Bass und damit der Herzschlag seiner Bands.

Darüber hinaus galt er als wandelndes Musiklexikon, dessen umfangreiches Wissen nicht zuletzt auf einer ebenso umfangreichen Schallplattensammlung fußte, für die Hartwich, der im Glockenbachviertel aufwuchs, schon mal einen Statiker konsultierte.

Seine Sammlung bestätigte den Ausspruch der Modeschöpferin Coco Chanel: "Mode ist vergänglich, Stil niemals!" Denn alles, womit Hartwich die Welt als Bassist, Komponist oder DJ bereicherte, hatte Stil. Und es hatte Klassenbewusstsein. Dank seines einladend freundlichen Lächelns und seiner guten Laune wirkte solches Klassenbewusstsein aber nie als bloße Kampfansage. Es war vielmehr das einladende Credo eines Mannes, der auch mal nach einem 6:1-Sieg der Sechziger statt ins Stammlokal mit Gleichgesinnten ins Tonstudio ging, um vom Sieg euphorisiert die Single "Jetzt schlägt's sechzig" aufzunehmen.

© SZ vom 13.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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