Nachfolge von Mariss Jansons:Konkrete Spekulationen

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Es gäbe gute Gründe für Simon Rattle als BRSO-Chef

Von Egbert Tholl, München

Der klassische Konzertbetrieb kennt viele Rituale. Eines besteht darin, dass das Orchester seinem Dirigenten applaudiert. Das schaut dann so aus: In der ersten Applausrunde nach Ende des Konzerts feiert der Dirigent das Orchester in Gänze, bei der zweiten hebt er wichtige Instrumentalsolisten hervor, bei der dritten weigern sich die Musikerinnen und Musiker, auf sein Zeichen hin aufzustehen, sondern bleiben sitzen. Weil nun eben der Applaus dem Dirigenten gelten soll. Dann wedeln die Streicher mit ihren Bögen, wer die Hand frei hat, klatscht. Oft ist dies ein rein mit Routine abgespulter Vorgang.

Am vergangenen Sonntag war das anders. Sir Simon Rattle dirigierte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in der Philharmonie, das Repertoire und seine Umsetzung boten alles, von musikantischer Leistungsschau bis zur intimen, poetischen Verzauberung. Die 200 erlaubten Zuhörer klatschten danach, als wären sie drei Mal so viele, und dann kam die oben beschriebene Dirigentenapplausrunde. Selten, auf Tourneen mit Mariss Jansons etwa, hat man so eine ehrliche, liebevolle, glückliche Bekundung der Anerkennung eines Orchesters für den Dirigenten des Abends erlebt. Und das führt in der Folge reflexhaft zur Spekulation, ob Rattle vielleicht der Nachfolger des verstorbenen Jansons als Chefdirigent des BRSO wird.

Nun, das pfeifen die Spatzen ohnehin von den Dächern, meint danach einer der Musiker. Seit Monaten werden bezüglich der Nachfolge von Mariss Jansons dieselben Namen gehandelt, knapp eine Handvoll. Zwei davon, Franz Welser-Möst und Daniel Harding, dirigierten in den vergangenen Wochen das BRSO. Einer konnte jetzt nicht, Yannick Nézet-Séguin, doch der hat ohnehin schon drei Leitungsstellen, darunter die musikalische Direktion der Met in New York, da gibt es für ein Orchester jenseits des Atlantiks wenig Spielraum, so sehr die Mitglieder des BRSO ihn auch schätzen mögen.

Rattle hat auch ein Orchester, aber eben nur eines. Seit 2017 leitet der das London Symphony Orchestra und kämpft dafür, dass dieses einen eigenen Saal erhält. Kommt einem aus Münchner Sicht bekannt vor. Rattle wäre einer, dessen Namen auch noch der banausischste Politiker kennt, er wäre eine Galionsfigur für den Bau des Konzerthauses selbst in Corona-Zeiten. Bescheid wissen wird man spätestens am 31. Januar 2021. Dann gibt BR-Intendant Ulrich Wilhelm seinen Posten ab. Den neuen Chef wird er schon noch selber verkünden wollen.

© SZ vom 23.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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